OFFENER BRIEF von FOREF (Forum Religionsfreiheit):


Mittwoch, 23.Februar 2000

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrter Herr Dr. Haider,


heute früh haben Sie in Ihrem Kommentar (Dr. Haider - ORF) gesagt, dass religiöse Minderheiten in Österreich besser behandelt werden als in Frankreich. Da muss man Ihnen zustimmen. Das Image Österreichs rangiert erst an zweiter Stelle am untersten Ende der europäischen Skala (bezüglich der Behandlung religiöser Minderheiten). So hoffen wir, dass unsere neue Regierung nicht mit dem derzeitigen Status quo der Religionsfreiheit in unserem Lande zufrieden ist. Es gibt hier noch ganz viel zu tun, um das neoinquisitorische Erbe der alten Regierung aufzuräumen. Mitglieder der religiösen Minderheiten appellieren an die Parteichefs der Koalitionsparteien, sich am Inhalt der unterzeichneten Präambel für Toleranz zu orientieren und sichtbare Zeichen zur Realisierung dieser Versprechen zu setzen !


Im Gespräch mit Mitgliedern religiöser Minderheiten hat das Forum Religionsfreiheit (FOREF)   folgende Vorschläge für Sie ausgearbeitet:

Was wir fordern:

1. Regierungssanktionen oder -Aktionen dürfen zu keinen Hirarchiebildungen von Religionen führen. Jeder religiöse Glaube hat Anspruch auf den in den Grundrechten verankerten Schutz.

2. Die Verwendung des diffamierenden Begriffs "Kult" oder "Sekte" durch staatliche Organe ist zu unterlassen und die Begriffe "Religion", "Kleine Religion", "Minderheitenreligion" oder "Neue Religion" zu ersetzen.
                
3. Verfassungswidrig und gegen die Menschenrechte ist die Einrichtung einer staatlichen Weltanschauung- und Gesinnungskontrolle  ("Glaubens-TÜV" - Bundesminister A.D. Hans Apel warnt die deutsche Bundesregierung davor) auf dem Gebiet der geistigen Entfaltung und der Sinnsuche, nämlich die Einrichtung einer Stiftung unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes (wie sie z.B. in den Handlungsempfehlungen der Bonner Enquete-Kommission und einer Forderung im Volksbegehren des Österreichischen Familienbundes enthalten ist - wird heute am 23.2.2000 im Nationalrat diskutiert). Solche Vorschläge sind gegen die Verfassung und daher entschieden abzulehnen.
                
4. Vor dem Hintergrund des Grundrechtes auf ungestörte Religionsausübung ist jegliche staatliche Förderung von privaten Informationsstellen, sprich sogenannten "Anti-Sekten-Vereinen", verfassungswidrig.
                
5.
Restriktionen von religiöser Freiheit aufgrund des Argumentes, diese Religion sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, darf nur bei klaren beweisbaren Fakten angewendet werden, d. h. nur dann, wenn der Staat wirklich einer Gefahr ausgesetzt ist. In diesem Zusammenhang wird des weiteren eine gleiche Behandlung aller Religionen gefordert.
                
6. Sofortige Einstellung und Rücknahme der staatlichen "Anti-Sekten-Propaganda" (Broschüre "Wissen schützt", etc.).
                
7. Schaffung einer Kultur der Toleranz und der Menschenrechte besonders in den Schulen. Einstellung der "Sekten"-Filme und des "Sekten"-Unterrichts in den Schulen und Schulbüchern. Rücknahme der bisher erstellten staatlichen und amtskirchlichen "Informationsschriften" über Minderheitsreligionen. Sofortige Einstellung der demagogischen Wanderausstellung "Sekten - Satanismus - Okkultismus" von Schweidlenka & Gugenberger.
                
8. Jegliche Veröffentlichung über religiöse Minderheiten seitens staatlicher Stellen darf keine diskriminierenden und diffamierenden Inhalte haben, muss den Tatsachen entsprechen und soll auch das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften berücksichtigen.
                
9. Rücknahme der Anweisungen an Finanzbehörden und Finanzämter, den betroffenen Gruppen "als Sekten" die Gemeinnützigkeit und andere gesetzliche Steuervorteile zu versagen.
                
10. Beendigung der Diskriminierung auf kommunaler Ebene durch Aussperrung aus öffentlichen Veranstaltungsräumen.


ÖSTERREICH hat jetzt den Vorsitz in der OSZE. Um in dieser verantwortungsvollen Position Glaubwürdigkeit und Autorität gegenüber den Mitgliedsstaaten  verkörpern zu können, sollten die folgenden OSZE Richtlinien zuerst im eigenen Lande implementiert werden:


U.S. Statement über Gedankenfreiheit, Gewissens-, Religions-, und Glaubensfreiheit zur 1999 OSZE - Review Konferenz in Wien

von T. Jeremy Gunn, Executive Fellow United States Institute of Peace (23.09.1999)/HRWF International Secretariat (12.10.1999) - Website: http://www.hrwf.net - Email: info@hrwf.net


Die Vereinigten Staaten ermahnen die neuen ("Anti-Sekten") Agenturen in Österreich (Bundesstelle für Sektenfragen), Belgien und Frankreich ihre Verpflichtung zur Toleranz zu demonstrieren:

1. Den Gebrauch der abwertenden Begriffe "Sekte" und "Kult" zu unterlassen, wenn damit neue religiöse Bewegungen gemeint sind.

2. Andeutungen, dass die meisten neuen oder kleinen Religionen und Glaubensgemeinschaften gefährlich oder bedrohend sind, sollen künftig vermieden werden.
 
3. Ernsthafter und offener Dialog mit allen Religionen und Glaubensgemeinschaften, die vom Gesichtspunkt der Regierungen ein Konfliktpotential für die Gesellschaft darstellen.

4. Etablierung offener, transparenter und fairer Umgangsformen, inklusive dem Recht der Gruppen auf Anschuldigungen zu erwidern, wenn Untersuchungen gegen sie geführt werden.

5. Öffentliche Bejahung der Prinzipien der Toleranz. Staatsbürger sollten entmutigt werden gegen Minderheiten zu diskriminieren.

Toleranz, Offenheit und Fairness zu praktizieren ist nicht immer leicht. Trotzdem ist es die Aufgabe jeder Regierung. Das Wiener Schlussdokument
(OSZE) verpflichtet Staaten ein "Klima der gegenseitigen Toleranz und des Respekts unter Gläubigen verschiedener Religionsgemeinschaften und auch zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu fördern." Wir alle müssen härter an der Realisierung dieser Prinzipien der Toleranz arbeiten.

Volltext (englisch)

Nationalratspräsident Dr. Fischer - Feedback

 

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