Theorie und Praxis staatlicher "Sektenaufklärung" und die Notwendigkeit zusätzlicher wissenschaftlicher Expertise


Zur Situation in Österreich

von Dr. Peter Schulte

kult & co tirol - Informations- und Beratungsstelle des Landes Tirol zu religiösen und weltanschaulichen Fragen
A.Einleitung / B.Staatliche "Sektenaufklärung" / C.Forschungssituation-Österreich / D.Österr.Forschungsarbeiten / E.Zusammenfassung / F.Optionen für die Zukunft


Zusammenfassung

Staatliche Aufklärung und Beratung braucht wissenschaftliche Expertise um einen zusätzlichen Input in die kontrovers geführte "Sektendiskussion" einzubringen.

Der österreichische Forschungsbeitrag zum Thema der sogenannten Sekten ist bisher allerdings unzureichend.

Eine Literaturrecherche an österreichischen Universitäten ergab, dass nur vereinzelt Beiträge zu finden sind, welche vom individuellen Forschungsinteresse unterschiedlicher Professionen geleitet sind. Diese sind juristischer, politologischer, theologischer und sozialwissenschaftlicher Natur.

Mit einer Ausnahme liegen bis dato keine empirischen Studien mit repräsentativem Charakter vor.

Interdisziplinarität wäre ein anzustrebender Status Quo mit dem Ziel, einen ausgewogenen Wissenspool anzubieten, welcher Informationen und Entscheidungshilfen bereit hält.


A. Einleitung

In Österreich nimmt die staatliche Informations- und Aufklärungsarbeit in Bezug auf die sogenannten Sekten und Psychogruppen stetig zu. Jüngste Beispiele sind die Einrichtung
der Landesstellen in Niederösterreich und Tirol sowie der Bundesstelle für Sektenfragen
in Wien. Diesen Stellen ist gemeinsam, daß ihnen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ein
hohes Maß an Verantwortung sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen zukommt.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Staates - u.a. festgelegt im Staatsgrundgesetz, im Staatsvertrag von St. Germain sowie in der internationalen Konvention der Menschenrechte - sollte richtungsweisend für staatliche "Sektenaufklärung" sein.

Problematisch ist insbesondere der Bereich der Informationspolitik solcher Einrichtungen, da diese sich von der "Aufklärungsarbeit" kirchlicher und privater "Sekteninitiativen" abgrenzen sollte. Es ist absolut nicht Aufgabe des Staates zu beurteilen, welche Religion die richtige oder falsche ist, da er ansonsten elementare Grundrechte seiner Bürger und Bürgerinnen antasten würde.

Das "Sektenproblem" ist somit auch keine Frage des abweichenden Glaubens oder der Irrlehre, sondern liegt in der Gefährdung rechtlich geschützter Interessen der Betroffenen (1). Staatlicher Regelungsbedarf besteht nach Eschmann in einer klaren Haltung des Staates ("Sektenpolitik"), in der konsequenten Anwendung der geltenden Gesetze, in der Information und Beratung, in der Forschung sowie in der Regelung der gewerblichen Lebenshilfe u.a. (2).

Der demokratische Rechtsstaat sollte dafür sorgen, sowohl Rahmenbedingungen für ein friedliches Zusammenleben aller religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen zu schaffen als auch Verantwortung für religiöse Minderheiten zu übernehmen.

Eine Stärke des demokratischen Rechtsstaats ist ja gerade sein Minderheitenschutz. Dieses Bekenntnis wird in der Deklaration der österreichischen Bundesregierung neuerlich bekräftigt. Dort heißt es: "Sie [die Bundesregierung] bekennt sich zu ihrer besonderen Verantwortung für einen respektvollen Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten"(3).

Staatliche Warnungen vor eventuellen Schädigungen durch weltanschauliche und religiöse Gruppen sollten nur dann erfolgen, wenn diese eindeutig und durch seriöse Quellen belegbar sind.

Will staatliche Informations- und Aufklärungsarbeit für sich in Anspruch nehmen, ausgewogen, fair, sachlich und möglichst objektiv Expertise abzugeben, so gilt es in erster Linie, dem vorherrschenden Mainstream kirchlicher, privater und medialer Horrorszenarien ein wirksames aufklärerisches Instrument entgegenzusetzen. Diese Forderung wird auch durch die Beobachtungen der Tiroler Landesstelle gestützt, welche eher ein Unsicherheits- als ein Bedrohungspotential erkennen lassen.

So zeigt z.B. die Qualität der Anfragen an die Tiroler Landesstelle, dass manche Bürger häufig durch die negativen Darstellungen von "Sekten" in einschlägigen Medien verunsichert werden, selten durch "Sekten" selbst. Durch eine offene Form der Öffentlichkeitsarbeit würde der demokratische Rechtsstaat seinem Anspruch gerecht, die Interessen aller Bürger in gleicher Weise zu vertreten.

Transparente Informationsarbeit könnte soziale Rahmenbedingungen schaffen, welche nicht normativ sondern informativ das bestehende Aufklärungsbedürfnis in der Bevölkerung befriedigt. Die bisherige staatliche Informations- und Aufklärungsarbeit in Bezug auf sogenannte Sekten und Psychogruppen wird durch den Umstand erschwert, dass in Österreich kaum wissenschaftliche Arbeiten zum Thema vorliegen, obwohl diese im besonderen Maße zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen könnten. Die zur Verfügung stehenden österreichischen Forschungsarbeiten - hauptsächlich Diplomarbeiten und Dissertationen - sind weitestgehend unbekannt. In der vorliegenden Arbeit wird in einem ersten Schritt die Problematik staatlicher Beratungstätigkeit aufgeworfen. Hier soll aufgezeigt werden, wie konfliktbehaftet Information und Beratung sein kann. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse einer Literaturanalyse zum Thema der sogenannten Sekten vorgestellt.

(1) Eschmann, "Probleme, Konfliktpotentiale, staatliche Reaktionen im Zusammenhang mit <<vereinnahmenden Gruppen>>, sogenannten Sekten und Psychogruppen (2000), in: infoSekta (Hg.), <<Sekten>>, Psychogruppen und vereinnahmende Bewegungen, Zürich 2000, 25-40.

(2) Eschmann, Staatliches Handeln. Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen. Positionspapier, ausgestellt auf der Fachtagung "Sekten", Von der Prävention zur Intervention", veranstaltet vom Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie, 13.-14.9. 1999 in Wien.

 (3)  www.austria.gv.at/bundesreg/deklaration.htm


B. Staatliche "Sektenaufklärung- und Beratung" in der Praxis - Anspruch und Wirklichkeit

Wer sich als staatlicher "Sektenbeauftragter" mit sogenannten Sekten und Psychogruppen auseinandersetzt, dem wird schnell bewußt, mit welchen gesellschaftlichen Kraftfeldern er konfrontiert sein wird.

 

Erstaunlich ist die Tatsache, wie schnell eine neue "Sekteninitiative" unter Insidern bekannt wird und wie noch schneller - ohne eigenes Handeln - eine Flut von Informationsunterlagen unterschiedlichster Art zur Verfügung gestellt wird. Anstatt selber das Feld zu analysieren, wird man schnell selbst zum Objekt der Beobachtung. Offenbar erzeugen neue Einrichtungen, welche Aufklärungs- und Beratungsleistungen in Bezug auf sogenannte Sekten anbieten, eine gewisse Unruhe in bestimmten Kreisen.

Wenn anfangs beschrieben wurde, dass eine staatliche Stelle keine Bewertungen im Hinblick auf die "richtige" oder "falsche" Religion abgeben sollte, dann stellt sich die Frage, was dann Aufklärung, Information und Beratung überhaupt bedeuten kann.

Ich glaube, dass Informationsarbeit nicht den Charakter einer generellen Warnung vor "Sekten" oder sonstigen als gesellschaftlich bedrohlich empfundenen Gruppen haben muß.

Diese Sichtweise ist zu undifferenziert und bedarf einer Korrektur. Aufklärung kann durchaus auch im Hinblick auf eine Veränderung des Meinungsbildes über "Sekten" verstanden werden. Dazu ist es notwendig, diesen Begriff auf das zu reduzieren, was er ursprünglich einmal war, nämlich nichts anderes als eine bestimmte Glaubensrichtung, die vom vorherrschenden religiösen Mainstream abwich.

Diese Betrachtungsweise hätte zur Folge, dass einige religiöse und weltanschauliche Gruppierungen, die in der Öffentlichkeit als "Sekte" wahrgenommen werden, nicht mehr in diesen Raster hineinfallen, wie z.B. die Moon-Bewegung, Zeugen Jehovas, Universelles Leben, VPM, Scientology etc. Wenn diese Gruppen keine "Sekten" im etymologischen Sinn mehr sind, was sind sie dann? Was ist ihre Natur, was ihr religiöses und/oder weltanschauliches Ziel? Durch diese Vorgehensweise würde der Druck auf eine differenziertere Auseinandersetzung verstärkt.

Zweitens kann Information und Aufklärung durchaus bedeuten, die normative Funktion des Begriffs "Sekte" aufzuzeigen. Es ist kein Geheimnis, dass dieser auch dazu benutzt wird, um eigene institutionelle Ziele zu verfolgen. Hier geht es insbesondere um Fragen von Herrschaft und Macht, besonders von Seiten etablierter Kirchen, welche "Sekten" teilweise als Bedrohung ihrer religiösen Sichtweise empfinden und meinen, sich besonders davor schützen zu können, wenn sie überwiegend problematische Parameter thematisieren, seltener die positiven Aspekte. Es geht aber auch darum, den kulturellen Konflikt aufzuzeigen, wo sich zeigt, inwieweit ein Gesellschaftssystem mit traditioneller Religiosität bereit ist, sich auf neue Formen von Religiosität und Spiritualität einzulassen - zumindest sie zu tolerieren.

Drittens kann Information und Aufklärung bedeuten, dem ratsuchenden Menschen Entscheidungshilfen anzubieten, welche ihm erlauben, aus einem ausgewogenen Informationspool die ihm relevanten Informationen auszufiltern. Dazu gehört auch die Bereitsstellung und Vermittlung von Erkenntnissen seitens staatlicher Behörden wie Staatsanwaltschaft, Sicherheitsdirektion und Polizei. Diese objektiven Aussagen und Erfahrungen zeigen allerdings, dass z.B. in Tirol so gut wie nichts aktenkundig ist, wenn man einmal von den Aktivitäten einiger Jugendlicher im Nahbereich des Jugendsatanismus absieht.

Die Praxis einer staatlichen Beratungsstelle stellt sich allerdings viel komplexer als beschrieben dar. Insbesondere die persönliche Beratung von Menschen, welche in der Tiroler Landesstelle um Rat, Hilfe und Unterstützung ansuchen, wirft ein anderes Licht auf die sehr emotional geführte Diskussion um die sogenannten Sekten und Psychogruppen.

Der individuelle Einzelfall macht deutlich, dass der oft vermutete kausale Zusammenhang zwischen Konvertierung und anschließender negativer Persönlichkeitsveränderung zu verwerfen ist. Diesen gibt es auch, aber er ist nach unseren Erfahrungen nicht die Regel sondern eher die Ausnahme. Die Reduzierung des Leidens auf eine Ursache, die "Sekte" als Ursprung allen Übels, hätte zur Folge, dass es keiner Ursachenforschung mehr bedarf, was einer Ablehnung jeder Form von Wissenschaftlichkeit gleichkommt.

Viele Gespräche haben gezeigt, dass der Beitritt zu einer sogenannten Sekte oft auch ein Suchen nach sozialen und spirituellen Entfaltungsmöglichkeiten ist, nach Kompensationsmöglichkeiten für fehlende oder auch gestörte soziale Beziehungen, dem Wunsch nach Gemeinschaft und Geborgenheit in einer Gesellschaft, die als egoistisch und bedrohlich empfunden wird. Die Ursachen des individuellen Leidensdrucks sind nicht selten in komplizierten Biographien und sozialen Interaktionsstrukturen zu finden. In vielen Fällen ist eine zusätzliche psychologische und/oder therapeutische Begleitung dringend erforderlich, um die eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten.

Neben der individuellen Betreuung kommt der Öffentlichkeitsarbeit eine besondere Rolle zu. Informationstätigkeiten im Rahmen von Vorträgen, Podiumsdiskussionen, medialer Berichterstattung, Ausstellungen etc. beinhalten sowohl Gefahren als auch Chancen in sich. Die Gefahren bestehen in der Einseitigkeit, die Chancen in der Ausgewogenheit der Informationsvermittlung. Diese wird besonders dadurch erschwert, weil oft nicht klar ist, auf welcher Grundlage ein bestimmtes Wissen vermittelt werden soll. Welche Quellen sollen dabei hinzugezogen werden? Die Informationsschriften kirchlicher und/oder privater Einrichtungen, Aussteigerberichte, Medienberichte, Originalquellen sogenannter Sekten, Bücher von "Experten"? Eins haben diese Quellen zumindest gemeinsam, sie zeigen das ganze Dilemma auf, mit dem man konfrontiert wird, wenn es um seriöse Öffentlichkeitsarbeit geht.

Wichtige Grundlagen der Informationsgewinnung bilden die Anfragen an die Mitarbeiter der Beratungsstellen, für "Sektenbeauftragte" mit wissenschaftlicher Ausbildung ein interessantes Gebiet der Feldforschung.

Die bisherigen Beobachtungen der Tiroler Landesstelle zeigten, dass zwar das Bild über "Sekten" ansatzweise klassischen Informationsschriften und Medienberichten entspricht, bei genauerer Betrachtung aber kritisch zu hinterfragen ist, da es oft einseitig erscheint. Gelegentlich wird erwartet, dass nicht Informationen weitergegeben, sondern bestehende Meinungen oder auch Vorurteile gegenüber religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen bestätigt werden. Demgegenüber hat der individuelle Einzelfall - der ernsthaft hilfesuchende Mensch - ein anderes Anliegen als der informationssuchende Mensch.

Ersterer befindet sich in einem Konflikt, den er nicht mehr allein und aus eigener Kraft bewältigen kann. Nicht die "Sekte" ist sein alleiniges Problem, sondern sein Suchen nach einem sozialen Bezugssystem, welches seinen Bedürfnissen entspricht. Dieses Suchen ist ein elementarer Bestandteil des sozialen Lebens und findet sich in vielen Lebensbereichen wieder. Es ist das Verhältnis von Individuum und Gruppe, welches als Kriterium bei Konvertierung und Ausstieg stärker in den Vordergrund gerückt werden sollte. Hier bedarf die Informationsvermittlung einer wissenschaftlich fundierten Basis, welche es erlaubt, Verallgemeinerungen abgesicherten Ergebnissen entgegenzusetzen.

 


C. Zur Forschungssituation in Österreich

Die wissenschaftliche Forschung in Österreich zu Fragen der sogenannten Sekten und Psychogruppen ist alles andere als zufriedenstellend, es gibt sie nicht.

 

Dieser Umstand liegt darin begründet, daß die "Sektenthematik" in der Regel von kirchlichen Einrichtungen bearbeitet wurde, welche aufgrund ihrer institutionellen Aufgabe keinen direkten Bezug zur Forschung aufwiesen. Ein weiterer Grund liegt in dem mangelnden Interesse seitens des Staates, da dieser die Bearbeitung des Themas in der Vergangenheit - wie in vielen anderen Ländern auch - weitestgehend der katholischen und evangelischen Kirche überließ. Der Staat war der Auffassung, dass das Seelenheil überwiegend eine Aufgabe der traditionellen Kirchen sei, die wiederum eigene "Sekten-" und Weltanschauungsreferate einrichteten, um die Öffentlichkeit über die sogenannten Sekten und sonstigen ihnen suspekt erscheinenden Gruppierungen "aufzuklären".

In Österreich verfügt jedes Bundesland über solche Referate, welche teilweise auch die vom ehemaligen Ministerium für Umwelt, Jugend und Familie geförderte Ausstiegsberatung und therapeutische Begleitung anbieten.

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland versuchte man schon ab Ende der siebziger Jahre wissenschaftliche Expertise zum Thema abzugeben. Diese war durch den Umstand geprägt, dass einige Forscher Kritik an einer beobachteten pauschalen Dämonisierung von "Sekten" übten und eine stärkere Differenzierung forderten (4).

In Österreich mehrten sich Stimmen, welche für eine objektive Ausgewogenheit bei der Berichterstattung über Neue Religiöse Bewegungen (NRB) plädierten.

Die Verfasser der "Wiener Studie" waren z.B. der Ansicht, dass eine sachliche Information überdies eine Beschreibung erfordert, "bei der Beobachtung und Beurteilung in erkennbarer Weise voneinander getrennt werden. Auch das trifft auf die gängige Berichterstattung über die NRB nicht zu. Ebenso fehlt meist das selbstkritische Element, nämlich das Einbekenntnis der Relativität und Gebundenheit des eigenen Standorts. Bei der Berichterstattung über NRB werden diese Prinzipien permanent verletzt"(5).

In den letzten 10 Jahren konnten kaum österreichische Forschungsbeiträge zum Thema der sogenannten Sekten verzeichnet werden, obwohl diese eine wichtige Basis für staatliche Informations- und Beratungsarbeit darstellen. Stattdessen ist man hierzulande auf wissenschaftliche Publikationen aus dem Ausland angewiesen. Im Zuge eines gesamteuropäischen Kontextes wäre ein eigenständiger Forschungsbeitrag aus Österreich sehr wünschenswert.

1998 wurde der Endbericht der ehemaligen Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" veröffentlicht, welcher im deutschsprachigen Raum einzigartig ist. "Sekten" so das Fazit, stellen keine unmittelbare Bedrohung für den Einzelnen und den Staat dar, dennoch gibt es Konfliktpotentiale, welche aber differenziert und individuell betrachtet werden müssen (6).

Die eigens dafür ins Leben gerufenen wissenschaftlichen Forschungsberichte "erteilen den in der Öffentlichkeit weitverbreiteten Vorstellungen, dass Einstieg oder Verbleib in Gruppen hauptsächlich Folge gezielter Manipulation sei, eine deutliche Absage"
(7).

In Österreich ist es dem Engagement einiger Forscher und Forscherinnen zu verdanken, dass kleinere Arbeiten vorliegen, welche sich ansatzweise dieser Thematik widmen und auch in schriftlicher Form vorliegen. Diese sollen in einem kurzen Überblick vorgestellt werden, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.

(4)  G. Kehrer, Zur Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (Forum Religionswissenschaft II), München 1980.
W. Kuner, "Jugendsekten: Ein Sammelbecken für Verrückte", in: Psychologie Heute 9 (8), 1981, 52-61.
W. Pölz, Prognosen von drogen- bzw. sektengefährdeten Jugendlichen. Dissertation an der Johannes Kepler-Universität Linz 1981.
Wiener Studie, Ursachen und Wirkungen gesellschaftlicher Verweigerung junger Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Jugendreligionen, durchgeführt von H. Berger und P. Hexel. Wien 1981.
K. Hoheisel, Die Dämonisierung der sogenannten "neuen Jugendreligionen, Sonderdruck aus SAECULUM XXXIV, Heft 3-4. Freiburg/ München 1983.

(5) Wiener Studie, Ursachen und Wirkungen gesellschaftlicher...., 356.

(6) Deutscher Bundestag (Hg.), Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen in der Bundesrepublik Deutschland. Endbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Bonn 1998.

(7) Deutscher Bundestag (Hg.), Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen. Forschungsprojekte und Gutachten der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Bonn 1998, 5.


D. Zusammenfassende Darstellung der österreichischen Forschungsarbeiten

Im folgenden wird eine kurze Zusammenfassung der vorhandenen österreichischen Forschungsarbeiten zum Thema der sogenannten Sekten und Psychogruppen gegeben, welche in den letzten 10 Jahren erstellt wurden und für die Allgemeinheit zugänglich sind.

 

Auch wenn dies nur wenige an der Zahl sind, so besteht doch die Notwendigkeit, das vorhandene Material sowohl in die wissenschaftliche als auch in die öffentliche Diskussion mit einzubeziehen, um somit für einen zusätzlichen Informationsfluss zu sorgen. Anhand einer Literaturrecherche wurden alle relevanten und erreichbaren Arbeiten zum Thema zusammengetragen. Diese fanden sich überwiegend in Diplomarbeits- und Dissertationsdatenbanken, welche an den österreichischen Universitäten angesiedelt sind.

Löscher(8) untersucht die Rechtsstellung von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich und Deutschland. Dies wird aus zwei Gründen rechtsvergleichend behandelt. Zum einen bestehen eine Reihe von rechtlichen Unterschieden auf Verfassungs- und Gesetzesebene, zum anderen mußte die deutsche Rechtssprechung zu einer Vielzahl von Problemen Stellung beziehen, die bisher in Österreich noch nicht aktuell sind, wie z.B. Unterlassungsbegehren gegen warnende Äußerungen oder die Untersagung der Förderung sektenkritischer Vereine.

Zunächst wird auf die unterschiedlichen Begriffe und Bezeichnungen für religiöse Vereinigungen eingegangen. Auch die daran anschließenden Rechtsfragen werden abgehandelt. Geklärt wird, dass es ein Grundrecht auf religiöse Vereinigungsfreiheit gibt. Im weiteren werden die unterschiedlichen Konstituierungsmöglichkeiten dargestellt, wobei auf damit zusammenhängende Rechtsfragen, wie etwa der wirtschaftlichen Betätigung religiöser Vereinigungen in der Rechtsform des Vereins oder der umstrittenen öffentlichen Rechtsfähigkeit anerkannter Religionsgemeinschaften, eingegangen wird.

Aufgezeigt werden auch die rechtlichen Unterschiede im Bereich der Autonomie. Die deutsche Verfassung gesteht religiösen Vereinigungen unabhängig von ihrer Rechtsstellung einen Autonomiebereich zu, die österreichische Verfassung nur den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Das bedeutet, dass nicht anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich bei der Wahrnehmung ihrer inneren Angelegenheiten gegenüber den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften benachteiligt sind.

Sint(9) geht in seiner politikwissenschaftlichen Arbeit der Frage nach, inwieweit sich "okkult-rassistisches" Gedankengut in der Anthroposophie, in verschiedenen esoterischen Bewegungen als auch in der "Neuen Akropolis" beobachten lässt. Besondere Bedeutung kommt dabei den Definitionen, Entstehungsgeschichten, Merkmalen sowie den theoretische Konstrukten seines Untersuchungsgegenstands zu. Dies geschieht mit Hilfe von primären und sekundären Textanalysen, wobei Sint sich besonders mit der problematischen Schnittstelle Esoterik/ destruktive Kulte auseinandersetzt. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass in seinen Untersuchungsobjekten problematische Strukturen zu finden sind, welche im Detail beschrieben werden.

Winkler(10) untersucht anhand von sechs "Aussteigern" die Gründe für dessen Eintritt, Austritt sowie auch die Erfahrungen während und nach der Mitgliedschaft in einer sogenannten Sekte. Ihre Interviewergebnisse verweisen auf die unterschiedlichen und teils sehr komplexen Verhaltensmuster von Menschen, sodass in dieser psychologischen Arbeit keine allgemein gültigen Aussagen getroffen werden konnten. Winkler fordert im Falle eines problematischen Ausstiegs therapeutische Unterstützung, welche besonders die individuelle Lebensbiographie berücksichtigt.

Die übersichtliche Arbeit von Melk(11) beruht zum Teil auf persönlichen Erfahrungen mit dem "Universellen Leben". Die Zielsetzung dieser theologischen Studie ist schon im Titel enthalten und spielt in provokativer Art auf den Absolutheitsanspruch von Frau Wittek und ihrer Glaubensgemeinschaft an. Im ersten Teil wird die Lehre des Universellen Lebens dargelegt, wobei die verwendete Systematik dogmatischer Natur ist. Melk versucht, die Struktur des "Universellen Lebens" unter Zuhilfenahme theologischer Grundbegriffe wie z.B. "Theologie", "Anthropologie", "Erlösungslehre" und "Eschatologie" zu beschreiben. Im zweiten Teil werden die so gewonnenen Ergebnisse mit der Lehre der katholischen Kirche Punkt für Punkt verglichen.

Was passiert, wenn der Mainstream von "Sektenexperten" in einem wissenschaftlichen Gewand erscheinen soll, demonstriert eindrucksvoll die Arbeit von Gumhold(12).

Das theologische Werk hat den durchaus begrüßenswerten Anspruch, "psychosoziale Aspekte des Eintritts in und Austritts aus Sekten" zu untersuchen. Diesem Anliegen wird die Arbeit aber nicht gerecht, da sie dem aufmerksamen Leser eher Kurzbeschreibungen von "Sekten" und dessen "Methoden" liefert. Gumholds theoretisches Bezugssystem - "Sekte" = gefährlich - findet sich schon in der Einleitung und zur Untermauerung ihrer These werden sämtliche Register meist oberflächlicher Vorurteile gezogen, welche sich wie ein roter Faden durch die gesamte Arbeit ziehen: Indoktrination, physiologische Beeinflussung, mentale Programmierung, "love bombing" etc.

In dieser Arbeit wird nicht differenziert, sondern polarisiert. Die Autorin liefert dem Leser weder empirisch abgesicherte Daten, welche ihre "Hypothesen" belegen könnten, noch nachvollziehbare theoretische Gerüste, aus denen sie ihre Theoreme ableiten könnte. In der Literaturliste findet sich kaum eine wissenschaftliche Arbeit, sondern überwiegend normative Literatur, welche an Ausgewogenheit und Objektivität zu wünschen übrig läßt.

Ganz ähnlich verhält sich die Argumentationslinie von Geist(13). Ihre Fragestellung geht allerdings dahin, ob "Sekten" ein zukünftiges Aufgabengebiet der Sozialarbeit sein könnte. Nach unbefriedigenden Definitions- und Einteilungsversuchen erfolgt eine Auflistung bekannter Gruppierungen. Die Beschreibungen sind allerdings normativer Natur: Abhängigkeit, Seelenwäsche, "love bombing", Indoktrination, wirtschaftliche Ausbeutung etc.

Die Untersuchungsergebnisse und die abschließenden Interviews mit zwei Betroffenen und einem Psychologen veranlassen die Autorin zu dem Schluss, dass "Sekten" durchaus ein Aufgabenbereich künftiger Sozialarbeit sein können. Das Problem dieser Arbeit ist die kritiklose Übernahme unwissenschaftlicher "Sekteninformationsunterlagen", welche nicht überprüft werden. Die Arbeit hat einen eklektizistischen Kern und bietet - wissenschaftlich gesehen - kaum etwas Neues.

Weitaus differenzierter stellt sich die Arbeit "Sekten unter pädagogischen und psychologischen Aspekten" von Lassnig(14) dar. Sie versucht bereits zu Beginn ihrer Untersuchungen auf die Definitionsproblematik des Begriffs "Sekte" hinzuweisen und setzt sie in Beziehung zu Begriffen wie "Ketzer", "Häretiker" und "Sektierer". Eine historische Analyse dieser Definitionen schließt sich an. In weiterer Folge wird die gesellschaftliche Funktion von Gott und Religion thematisiert, wobei insbesondere auf den Religionsbegriff von Durkheim, Marx und Feuerbach eingegangen wird. Religion kann demnach als ein soziales Bindeglied angesehen werden, welche dem Menschen Orientierung und ein Gemeinschaftsgefühl anbietet.

Im Zuge sozialer Differenzierung erscheint Religion als solche heutzutage in unterschiedlichen Ausprägungen. In einem weiteren Exkurs werden einige sogenannte Sekten entstehungsgeschichtlich vorgestellt und dessen mögliche Konfliktfelder thematisiert. Anschließend finden wir noch einige Ausführungen zu psychologischen Aspekten mentaler Beeinflussung. Mit einer Umfrage über das quantitative Ausmaß sogenannter Sekten im Bundesland Kärnten schließt die Arbeit.

Costiuc(15) untersucht anhand einer kleinen Untersuchung die Kommunikationsformen von 23 "Sekten" im Internet. Nach einem anfänglichen Exkurs in Geschichte und Entwicklung des Internets und dessen problematische gesellschaftliche und gesundheitsbezogenen Aspekte, werden unter der Überschrift "Sekten im Überblick" Hypothesen (überwiegend negativer Natur) über diese Gruppen verbreitet, welche in Folge nicht überprüft werden. Auffällig ist besonders, dass Costiuc keine einzige Originalquelle für ihre Ausführungen heranzieht. Den theoretischen "Beweis" liefern überwiegend aufgelegte Schriften katholischer und evangelischer Sekten- und Weltanschauungsreferate.

Ihre Untersuchung bezüglich der Kommunikationsformen von "Sekten" im Internet - welches ja Hauptanliegen von Costiuc war - lässt sie zu dem lapidaren Ergebnis kommen, dass "Sekten" durch eine eigene Homepage im Internet vertreten sind. Sie bieten dadurch den interessierten Menschen die Möglichkeit, sich online über das entsprechende Anliegen zu informieren.

Eine empirische Pilotstudie zum Thema Esoterik, Okkultismus und Satanismus legen Gugenberger, Schweidlenka, Strimitzer & Wassermann(16) vor. Sie befragten 452 steirische Schüler und Schülerinnen im Alter von 15-20 Jahren. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich die "Esoterisierung" der Gesellschaft in der Jugend widerspiegelt. Das größte Problem zeigte sich dabei im Bereich des Jugendsatanismus: 1.85% der befragten Jugendlichen fühlten sich einer Satansgemeinschaft verbunden, 1.7% waren in einer aktiv, 2% hatten an schwarzen Messen teilgenommen und weitere 3.1% würden es gerne tun. Auch der Glaube an der Wirksamkeit von Magie war weit verbreitet (22.2%). Die Arbeit liefert darüber hinaus interessante Beiträge zu den Themen Jugendokkultismus/ Jugendsatanismus sowie zum Verhältnis von Jugendlichen und Religion.


(8)  K.S. Löscher, Die Rechtsstellung von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich und Deutschland. Dissertation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Graz 1996.

(9) M. Sint, Okkult-rassistisches Gedankengut in modernen Bewegungen. Anthroposophie, Esoterik, Neue Akropolis. Diplomarbeit am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Innsbruck 1998.

(10) E. Winkler, Psychologische Analyse und Rekonstruktion des Lebens in einer Sekte aus der Sicht von Aussteigern. Diplomarbeit an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Innsbruck 1998.

 (11) E.M. Melk, Ist Christus ins Universelle Leben übergetreten? Die christliche Glaubenslehre in Auseinandersetzung mit der Lehre der Frau Gabriele Wittek. Diplomarbeit an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Innsbruck 1996.

(12)  B. Gumhold, Der Eintritt ist leicht - der Austritt ist schwer. Psychosoziale Aspekte des Eintritts und des Austritts aus Sekten. Diplomarbeit am Institut für Ethik und Sozialwissenschaft an der Universität Graz. Graz 1999.

(13) G. Geist, Sekten. Ein zukünftiger Aufgabenbereich für die Sozialarbeit? Diplomarbeit an der Akademie für Sozialarbeit der Stadt Wien. Wien 1992.

(14) A. Lassnig, Sekten unter pädagogischen und psychologischen Aspekten. Diplomarbeit am Institut für Weiterbildung an der Universität Klagenfurt. Klagenfurt 1995.

(15) A. Costiuc, Sekten im Internet. Eine Bestandsaufnahme und Analyse der neuen Kommunikationsformen. Diplomarbeit an der Grund- und integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Wien 1999.

(16)  E. Gugenberger; R. Schweidlenka; B. Strimitzer; H.P. Wassermann (Hg.): Esoterik, Okkultismus und Satanismus in den Lebenswelten steirischer Jugendlicher. Graz 1999.


E. Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit sollte einen Überblick über Theorie und Praxis staatlicher "Sekteninformationsstellen" sowie über die österreichischen Forschungsarbeiten zum Themenbereich der sogenannten Sekten geben.

 

Dabei wurde deutlich, dass Informations- und Beratungsstellen mit unterschiedlichen Schwierigkeiten in ihrer alltäglichen Praxis konfrontiert sind. Diese betreffen besonders die Öffentlichkeitsarbeit sowie die mangelnde Forschungsexpertise zum Thema.

Dennoch zeigte sich, dass sich auch in Österreich interessante Schriften finden, welche vom individuellen Forschungsinteresse unterschiedlicher wissenschaftlicher Professionen geleitet sind. Einige Arbeiten zeigten juristische, politologische, theologische und sozialwissenschaftliche Aspekte auf, welche in die öffentliche Diskussion mit einbezogen werden sollten.

Als problematisch sind solche Arbeiten anzusehen, welche schon im Ansatz erkennen lassen, dass es ihnen nicht primär um wissenschaftliche Erkenntnis, sondern um die Festigung ihrer nicht überprüften Vorurteile und Stigmata gegenüber "Sekten" geht(17). Hier wird - im Scheingewand von Wissenschaft - soziale Kontrolle erster Güte ausgeübt. Eine Forschungsarbeit, welche ein nicht überprüftes theoretisches Konstrukt bereits voraussetzt und für "wahr" hält (in diesem Fall: "Sekten" = gefährlich), hat keinen wissenschaftlichen Erkenntniswert, sondern stellt sich über ihn.

Besonders unbefriedigend ist, dass keine empirischen Studien mit repräsentativen Charakter vorliegen, welche besonders für die öffentliche Meinungsbildung wichtig wären.

Gerade bei einer derzeit so sensiblen und emotional geführten "Sektendebatte", könnte wissenschaftliche Expertise einen wichtigen Beitrag leisten und neutralisierende Funktionen ausüben. Größere empirische Studien, welche von Bund und Ländern gefördert werden, liegen - mit Ausnahme von Gugenberger et al(18). - bis dato nicht vor, sodass von einem defizitären Zustand in Österreich ausgegangen werden muss.

(17)  A. Costiuc, Sekten im Internet......

B. Gumhold, Der Eintritt ist leicht....

G. Geist, Sekten. Ein zukünftiger Aufgabenbereich

(18)  E. Gugenberger; R. Schweidlenka; B. Strimitzer; H.P. Wassermann (Hg.): Esoterik, Okkultismus.........


F. Optionen für die Zukunft

Wie wir zeigen konnten, steht die österreichische Forschung zum Thema der sogenannten "Sekten" noch am Anfang ihrer Entwicklung. Der Grund dafür ist in den kulturellen Gegebenheiten hierzulande zu suchen.

 

Zum einen wurde das religiöse Feld weitestgehend den traditionellen Kirchen überlassen, welche - gestern wie heute - bisher wenig Interesse an einer ausgewogenen und besonders wissenschaftlich fundierten Informationspolitik zeigten.

Andererseits sind staatliche Initiativen in Bezug auf den Gegenstandsbereich relativ neu, sodass öffentlich zugängliche Daten und Berichte erst in nächster Zukunft zu erwarten sind.

Staatliche "Sektenarbeit" hat viele Gesichter und ist selbstverständlich - wie in den traditionellen Kirchen auch - interessengeleitet. Der Unterschied ist aber der, dass der Staat die Interessen aller Bürger und Bürgerinnen vertritt, auch die religiöser Minderheiten. Deshalb muß er soziale Rahmenbedingungen schaffen, um diesen Anspruch gerecht zu werden. Staatliche Informations- und Beratungstätigkeit bedarf insbesondere der seriösen Information, welche nicht interessen- sondern wissensgeleitet sein sollte.

Deshalb ist die Zuarbeit von Seiten der Wissenschaft notwendig, um aussagefähige Erkenntnisse in das soziale Konfliktfeld hinein zu transportieren. Interdisziplinarität, d.h., die Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Institutionen mit Einrichtungen der Praxis wäre ein anzustrebender Status quo mit dem Ziel, einen öffentlichen Wissenspool anzubieten, welcher insbesondere für Exekutive, Legislative, Multiplikatoren sowie auch sonstigen Interessierten abrufbar ist und Orientierungshilfen anbietet. Die Entwicklung des Internets bietet dafür ausgezeichnete Voraussetzungen.

Die Chancen einer solchen Vorgehensweise liegen auf der Hand:

Eine pauschale Dämonisierung und Stigmatisierung von Mitgliedern sogenannter Sekten seitens des Staates ist abzulehnen, weil er in diesem Fall elementare Grundrechte seiner Bürger und Bürgerinnen antasten würde. Dies ist aber nach wie vor der Fall.

Jüngstes Beispiel ist die Neuauflage der Sektenbroschüre des ehemaligen österreichischen Ministeriums für Umwelt, Jugend und Familie "Sekten - Wissen schützt", welche eine "Sektenliste" beinhaltet, ohne in irgendeiner Weise darzustellen, was das Ministerium diesen Gruppen denn wirklich vorwirft.

Dem ratsuchenden Bürger wird in dieser Broschüre eine generelle Destruktivität der aufgeführten Gruppen suggeriert, wobei allein schon die kurzen Beschreibungen plakativer Natur sind.

Die Urheber dieser Schrift werden nicht erwähnt, sodass ein Dialog nicht möglich ist(19). Die Aufmachung der Titelseite könnte zu dem Schluß verleiten, dass es sich bei einer "Sekte" um eine Krankheit oder eine Virusinfektion handelt, welche durch Aufklärung "bekämpft" werden kann. Diese Broschüre wird in hoher Zahl aufgelegt und ist besonders im schulischen Bereich Grundlage für den Religions- und Ethikunterricht.

Die schriftlichen Informationen der katholischen Kirche, welche überwiegend von der Erzdiözese Wien herausgegeben werden, weisen deutliche dogmatische Züge aus, was an und für sich durchaus verständlich ist, folgt doch jede Institution einem speziell ihr zugrunde liegenden und übergeordneten Ziel.

Als problematisch sind allerdings die durchwegs negativen Darstellungen religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen anzusehen, welche keine unmittelbare Affinität zur katholischen Kirche aufweisen. Auffallend ist die überproportionale Beschäftigung mit Werbemethoden, Finanzen, Organisationsstrukturen und öffentlichen Aktivitäten.

Wenig Raum hingegen nimmt die Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Religiösen an sich ein, welches den jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen zugrunde liegt. Die religiöse Praxis dieser Gemeinschaften wird - wenn überhaupt - nur am Rande erwähnt, wobei diese sofort dann als problematisch erscheint, wenn sie die christliche Praxis tangiert.

Die Oberflächlichkeit dieser Form der Auseinandersetzung zeigt sich besonders bei der Darstellung von "Gurubewegungen", auf einer DIN A4 Seite werden acht! Gruppierungen abgehandelt(20). Worte wie Achtung, Toleranz und besonders Akzeptanz gegenüber den Mitgliedern der aufgeführten Gruppen sucht der Leser vergeblich, obwohl diese Tugenden doch oberste Christenpflicht sein sollten.

Die Verbreitung solcher Schriften hat zur Folge, dass in der Öffentlichkeit ein einseitiges Bild von "Sekten" erzeugt wird. Eine Konsequenz dieser Informationspolitik ist, dass Ängste bei Menschen ausgelöst werden können, wenn sie - im vollen Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt dieser Schriften - mit Mitgliedern der beschriebenen Gruppierungen in Berührung kommen.

Des weiteren wird durch solche Bestrebungen ein Bewußtsein erzeugt, welches es erlaubt, "Sekten" dort zu sehen, wo gar keine sind oder "Sektentendenzen" in komplexe Formen des menschlichen Verhaltens hinein zu interpretieren.

Die Beobachtungen der Tiroler Landesstelle zeigten bisher auch, dass völlig unbescholtene und aufrichtige religiöse Gruppierungen in diesen Sog hinein gerieten und teils mit erheblichen Widerstand und Ablehnung seitens der Bevölkerung konfrontiert waren und sind.

Aus all dem Beschriebenen wird deutlich, dass wissenschaftliche Aufklärung im Hinblick auf Objektivität und Ausgewogenheit dringend notwendig ist, um bestehende Unsicherheiten und Vorurteile auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Im Interesse aller Beteiligten sollte der Staat sich bemühen, wissenschaftliche Forschung zu fördern, um somit einen fairen, möglichst objektiven und ausgewogenen Informationsfluss zu gewährleisten.

Wünschenswert wäre eine sachliche und nicht interessengeleitete Auseinandersetzung mit Formen (neuer) Religiosität und Spiritualität.

Von gesundheitswissenschaftlicher Seite betrachtet, kann ein religiöser und weltanschaulicher Pluralismus ja auch Chancen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten für diejenigen anbieten, welche in den traditionellen Bereichen institutioneller Religiosität wenig Entwicklungsperspektiven sehen und sich enttäuscht davon abwenden, weil diese ihr spirituelles Verlangen nicht ausreichend befriedigen kann.

Letztendlich darf auch nicht vergessen werden, dass "Sekten" - sozialpolitisch betrachtet - sehr wohl kompensatorische Funktionen ausüben, da sie auch ein Auffangbecken für Menschen bilden können, welche durch das Raster sozialstaatlicher und kirchlich-seelsorgerischer Fürsorge und Betreuung fallen.

(19) Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie (Hg.), Sekten - Wissen schützt. Wien 1999.

(20) Erzbischöfliches Ordinariat Wien (Hg.), Gurubewegungen. Stellungnahme aus christlicher Sicht. Aufgelegt vom Referat für Weltanschauungsfragen Wien. Wien 1998.

Vorhandene Forschungsarbeiten

K.S. Löscher, Die Rechtsstellung von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich und Deutschland. Dissertation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Graz 1996.

M. Sint, Okkult-rassistisches Gedankengut in modernen Bewegungen. Anthroposophie, Esoterik, Neue Akropolis. Diplomarbeit am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Innsbruck 1998.

E. Winkler, Psychologische Analyse und Rekonstruktion des Lebens in einer Sekte aus der Sicht von Aussteigern. Diplomarbeit an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck. Innsbruck 1998.

E.M. Melk, Ist Christus ins Universelle Leben übergetreten? Die christliche Glaubenslehre in Auseinandersetzung mit der Lehre der Frau Gabriele Wittek. Diplomarbeit an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Innsbruck 1996.

B. Gumhold, Der Eintritt ist leicht - der Austritt ist schwer. Psychosoziale Aspekte des Eintritts und des Austritts aus Sekten. Diplomarbeit am Institut für Ethik und Sozialwissenschaft an der Universität Graz. Graz 1999.

G. Geist, Sekten. Ein zukünftiger Aufgabenbereich für die Sozialarbeit? Diplomarbeit an der Akademie für Sozialarbeit der Stadt Wien. Wien 1992.

A. Lassnig, Sekten unter pädagogischen und psychologischen Aspekten. Diplomarbeit am Institut für Weiterbildung an der Universität Klagenfurt. Klagenfurt 1995.

A. Costiuc, Sekten im Internet. Eine Bestandsaufnahme und Analyse der neuen Kommunikationsformen. Diplomarbeit an der Grund- und integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Wien 1999.


kult & co tirol - Informations- und Beratungsstelle des Landes Tirol zu religiösen und weltanschaulichen Fragen
Tel: 0512-5082996
E-mail:
P.SCHULTE@tirol.gv.at


Anmerkung der Redaktion:
Dr. Peter Schulte, Leiter von kult & co tirol - Informations- und Beratungsstelle des Landes Tirol zu religiösen und weltanschaulichen Fragen hat diesen Aufsatz der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Diese und weitere Infos finden Sie auf der Website von kult & co tirol.


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