Bonner Enquete- Kommission

(Sog. Sekten & Psychogruppen):

Schlußbericht

c. Resümee


Wir halten es auch für notwendig festzustellen, daß die Problemdefinition, von der alle Fraktionen des Deutschen Bundestages (einschließlich derjenigen, die wir vertreten) bei der Einsetzung der Enquête-Kommission ausgegangen sind, in vielen Punkten nicht bestätigt werden konnte. Es konnte nicht bestätigt werden, daß die Entstehung und Ausbreitung neuer religiöser und weltanschaulicher Bewegungen ein "anwachsende[s] vielschichtige[s] Gefährdungs- und Konfliktpotential" bedeutet. Es besteht deshalb auch keine Veranlassung, von Seiten des Staates nach Möglichkeiten zu suchen, durch die verhindert werden soll, daß sich Menschen neuen religiösen und weltanschaulichen Bewegungen zuwenden; oder durch die gefördert werden soll, daß Menschen solche Gemeinschaften wieder verlassen. Der Staat muß sich darauf beschränken, in konkreten Fällen Menschen zu helfen, wenn Hilfe notwendig ist.

Solange sich neue religiöse und weltanschauliche Bewegungen im Rahmen und unter Beachtung der Rechtsordnung entfalten, ist dies kein Problem der öffentlichen Ordnung. Religiöse und weltanschauliche Konflikte, die sich in diesem Zusammenhang entzünden, können und müssen im vorstaatlichen Raum ausgetragen werden. Der Staat kann seine Aufgabe, die Rechte aller Bürger zu schützen, nur erfüllen, wenn er sich in diesen Konflikten neutral verhält und die Beachtung der bestehenden Gesetze gewährleistet.

Die bestehenden Konflikte sind ein Indiz dafür, daß der gegenwärtige Prozeß des beschleunigten sozialen und ökonomischen Wandels und die damit verbundenen Spannungen und Unsicherheiten, auch kulturelle Veränderungsprozesse in Gang gesetzt hat. Religion und Weltanschauung sind davon nicht ausgeschlossen. Die Globalisierung auch der kulturellen Beziehungen und die Pluralisierung der Lebensformen innerhalb der Gesellschaft sind Enwicklungen, die man unterschiedlich bewerten, aber kaum unterbinden kann. Dies kann zu Konflikten führen.

Mit allen Veränderungen sind immer auch Risiken verbunden. Aber sie bedeuten auch Chancen. Die Vielfalt und die Konkurrenz unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen - alter wie neuer - bieten für den einzelnen die Chance, sich frei und selbstverantwortlich zu entscheiden; und für die Gesellschaft bieten sie die Chance eines offenen Diskurses, der es erlaubt, sich in kritischer Auseinandersetzung mit den Überzeugungen Andersdenkender der eigenen Position zu vergewissern. Diese Chancen sollten nicht geringer geschätzt werden als die Risiken.