Dieser
Vortrag wurde im Rahmen einer Tiroler Fachtagung
(Kult&Co) von Prof. DDr. Heinz Mayer gegeben:
Thema:
Staatliche Information und Rechtsschutz.
Warnung vor „Sekten“ aus verfassungsrechtlicher Sicht
Zunächst einmal, meine Damen und Herren, danke ich für die
Einladung, dass ich hier bei Ihnen sein darf und über dieses Thema sprechen
darf.
Ich werde mein Referat so aufbauen, dass ich zunächst einmal kurz über die Frage
„Was kann man unter einer Sekte verstehen?“ spreche; dann über die Frage „Welche
Rechte haben Sekten oder woraus können Sekten oder sektenähnliche Gruppen Rechte
ableiten?“ und zum Schluss die Frage „Wie setzt sie diese Rechte durch?“ Das ist
juristisch die schwierigste Frage.
Zunächst zum Begriff der Sekte:
Man versteht unter Sekten im Allgemeinen Abspaltungen religiöser Minderheiten
von einer Hauptreligionsgesellschaft. Man versteht also unter Sekten nicht
innerhalb einer Religionsgemeinschaft bestehende Gruppen, die ein Eigenleben
entwickeln, was es ja gibt, sondern wir verstehen darunter eher abgespaltene
Gruppen. Der Begriff wird aber nicht ganz scharf verwendet. Mit dem religiösen
Aspekt ist die Brücke zum Verfassungsrecht geschlagen, denn der Artikel 9 der
Menschenrechtskonvention garantiert jedermann das Recht auf Religionsfreiheit.
Schon im Jahr 1867 im Staatsgrundgesetz, das heute noch geltendes Recht ist,
finden wir die Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit verankert und finden wir
im Artikel 15 das Recht von Religionsgesellschaften auf staatliche Anerkennung.
Wenn man die heutige Verfassungsrechtslage betrachtet, dann muss man sagen, der
Artikel 9 der Menschenrechtskonvention ist nicht nur die modernste, sondern auch
in der Praxis die bedeutendste Bestimmung. Ich beginne daher mit ihr.
Artikel 9, Absatz 1, beginnt:
„Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses
Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechseln der Religion oder der
Weltanschauung, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln
oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, ob Gottesdienst,
Unterricht, Andachten und die Achtung religiöser Gebräuche auszuüben“. Man
sieht, dass zwar das individuelle Recht im Vordergrund steht; dieses Recht
umfasst aber auch die gemeinsame Religionsausübung öffentlich oder privat. Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat daraus geschlossen, dass sich
auch Gruppen auf dieses Recht berufen können.
Fragen wir uns, was denn eigentlich eine Religion ist? Was versteht der Artikel
9 der Menschenrechtskonvention unter Religion? Im Allgemeinen gehört dazu ein
Bekenntnis, ein gewisses Lebenskonzept und ein transzendentaler Bezug, ein Bezug
auf Gott und ein entsprechender Kultus. Hier ist ganz wichtig zu sagen, dass der
Staat nicht das Recht hat, im Detail zu bestimmen, was eine zulässige und was
eine nicht zulässige Religion ist. Der Staat kann also nicht etwa sagen,
Religionen sind nur die, die einen Eingottglauben haben oder die eine ganz
bestimmte Richtung vertreten. Der Europäische Gerichtshof hat das mit den Worten
ausgedrückt: „Der Staat habe nicht das Recht, inhaltliche Kriterien festzulegen
oder, mit anderen Worten, zu bestimmen, ob eine Religion berechtigt ist“; es
kommt hier wesentlich auf das Selbstverständnis der betreffenden Gruppe an. Wer
also einen transzendentalen Glaubensbezug hat, einen Gottesglauben, welcher Art
auch immer, kann sich zu Recht auf die Religionsfreiheit berufen, ohne dass dem
Staat das Recht eingeräumt werde, hier inhaltliche Beurteilungen,
Differenzierungen oder Bewertungen vorzunehmen.
Was umfasst nun dieses Recht des Artikel 9 der MRK? Zunächst einmal einen
Glauben zu haben, aber auch einen Glauben nicht zu haben, also sich von jedem
Glauben fern zu halten. Es umfasst weiter das Recht, den Glauben auszuüben,
einzeln oder gemeinsam mit anderen. Es umfasst das Recht, den Glauben zu
wechseln, vom Glauben in den Nichtglauben, von einem Glauben in einen anderen,
ja möglicherweise sogar mehrere Glaubensbekenntnisse, mehrere Religionen
gleichzeitig zu haben. Das ist eine Frage der inneren Angelegenheiten der
Kirchen und damit dem staatlichen Zugriff entzogen.
Welche Verpflichtungen ergeben sich aus diesen Rechten für den Staat? Zunächst
einmal, der Staat darf nicht eingreifen. Er darf nicht eingreifen in das Haben
der Religion, in das Nichthaben der Religion. Er darf also etwa keine
Differenzierungen vornehmen, er darf nicht bestimmte Rechte nur Angehörigen
einer bestimmten Religion vorbehalten oder den Austritt aus einer
Religionsgemeinschaft zum Anlass nehmen, um jemanden mit Sanktionen zu bedrohen,
mit gesellschaftlicher Ächtung zu bedrohen oder mit anderen Nachteilen zu
drohen. Z. B.: Heute ein Thema – KOPFTUCHVERBOT, BERUFSVERBOTE und ENTZUG DES
SORGERECHTS.
Vor nicht allzu langer Zeit ist ein Urteil des Deutschen
Bundesverwaltungsgerichtshofes durch die Österreichischen Medien gegangen: Der
Deutsche Bundesverwaltungsgerichtshof hat es als unzulässig angesehen, einer
Lehrerin zu verbieten, mit Kopftuch zu unterrichten. Das wäre ein typischer
Eingriff in die Glaubensfreiheit. Ich komme auf dieses Thema noch zurück. Was
kann man sich noch vorstellen. Man kann sich vorstellen, einen Fall, den der
Oberste Gerichtshof vor kurzem, ist 2 bis 3 Jahre her, zu entscheiden hatte; da
ging es um die Zuerkennung des Sorgerechts für ein Kind nach der Ehescheidung.
Die Untergerichte haben es der Mutter entzogen mit der Begründung, sie gehöre
einer Sekte, nämlich der Scientology-Sekte, an. Der Oberste Gerichtshof hat dies
als unzulässig angesehen mit der Begründung, dass die Frau dieser Sekte
angehört, rechtfertigt allein nicht den Entzug des Sorgerechts. Das sei ein
Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht.
Der Staat muss sich aber nicht nur Eingriffen enthalten, sondern er muss auch
gewährleisten, dass diese Rechte auch tatsächlich ausgeübt werden können. Der
Staat muss also etwa dafür sorgen, dass jemand, der Militärdienst ableistet oder
der im Gefängnis seinen Aufenthalt nimmt, auch dort seine Religionsbekenntnisse
ausüben kann. Es darf also nicht so sein, dass jemand, der in staatlichem
Gewahrsam ist, etwa beim Militär, dort nicht die Möglichkeit hat, seinen
religiösen Übungen, Gebräuchen oder Andachten nachzugehen. Der Staat muss also
gewährleisten, dass die Religionsfreiheit auch tatsächlich ausgeübt werden kann
und der Staat muss die Ausübung schützen etwa vor Verunglimpfungen durch andere
gesellschaftliche Gruppen. Er darf also wohl Kritik zulassen, er muss aber die
Störung der Religionsausübung durch andere Gruppen, das Verächtlichmachen oder
Verunglimpfen verhindern. Es müssen wirksame Rechtsinstrumente zur Verfügung
stehen, auf die sich die betroffenen Gruppen berufen können. Es stehen alle
Möglichkeiten, die jedem Privaten zur Verfügung stehen, auch religiösen Gruppen
zur Verfügung. Und zuletzt muss der Staat allen Religionsgesellschaften
gegenüber Neutralität wahren, er darf nicht eine bevorzugen und andere
benachteiligen, sondern er muss alle in einem Klima der geistigen Toleranz
gedeihen lassen. Er muss ein Klima der geistigen Toleranz schaffen und das ist
mehr als bloß gewähren lassen.
Eine der wesentlichen Garantien des Artikel 9 ist nach der Judikatur des
Europäischen Gerichtshofes, dass die Pluralität von Religionsgesellschaften in
den Mitgliedsstaaten der Menschenrechtskonvention gesichert sein muss. Der Staat
muss sicher stellen, dass es auch Minderheitenreligionen geben kann, dass es
einen Pluralismus auch in Glaubensfragen geben kann. Keine Freiheit kann
grenzenlos sein. Daher sieht auch der Artikel 9 in seinem Absatz 2 vor, aus
welchen Gründen und unter welchen Voraussetzungen der Staat die im Absatz 1
gewährten Rechte der Religionsfreiheit beschränken kann. Hier heißt es: Die
Religions- oder Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz
vorgesehener Beschränkungen sein und damit ist schon der erste wesentliche
Aspekt gesetzt. Wenn es Einschränkungen gibt, dann darf sie nicht die Verwaltung
treffen, dann dürfen sie nicht die Gerichte treffen, sondern dann muss sie der
Gesetzgeber anordnen. Es muss also ein allgemeines Gesetz sein, das diese
Beschränkungen verfügt. Dieses Gesetz muss legitime Ziele verfolgen. Diese Ziele
sind im Artikel 9, Absatz 2 genannt. Es muss sich um Maßnahmen handeln, die im
Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und
Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Und
schließlich, und hier liegt in der Praxis die größte Bedeutung, muss die
beschränkende Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, um
diese Ziele zu erreichen. Wir nennen das den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das
heißt, auch wenn eine Beschränkung an sich dem Ziel der öffentlichen Sicherheit,
der öffentlichen Ordnung oder der Freiheit anderer dient, dann darf sie nicht
intensiver sein, als es unbedingt notwendig ist, um dieses Ziel in einer
demokratischen Gesellschaft zu erreichen. Es muss die gelindeste, noch zum Ziel
führende Maßnahme gewählt werden, die die Ausübung dieser Rechte beschränkt.
Wichtig ist auch, dass der Staat nur auf konkrete
Missstände reagiert. Er darf nicht auf allgemeine Verdächtigungen, Behauptungen
oder Überlieferungen reagieren, sondern es müssen konkrete Umstände sein, die
eine Beschränkung rechtfertigen. Also der schlechte Ruf einer Gruppe ohne
entsprechendes Substrat wäre nicht ausreichend. Der Staat darf, sagt der
Europäische Gerichtshof, Beobachtungen anstellen, um schädliche Auswirkungen und
schädliche Ziele für die Bevölkerung zu vermeiden. Beobachtet darf werden, aber
bevor eine beschränkende Maßnahme gesetzt wird, müssen konkrete Umstände
ermittelt werden. Was kommt denn als beschränkende Maßnahme nach Artikel 9,
Absatz 2 in Betracht? Unzulässig wäre es, die Werbung einer Glaubensgemeinschaft
zu verbieten, zulässig ist es aber, aggressive Werbung zu verbieten. Das ist
eine Störung der öffentlichen Ordnung. Was aber nicht verboten werden darf, ist
die einfache, ohne Aggressivität vorgetragene Werbung. Kritik zu üben an einer
Religionsgesellschaft ist selbstverständlich zulässig. Die Grenze ist die
Verunglimpfung oder das Schaffen eines Klimas der Verächtlichmachung der
gesellschaftlichen Ächtung, so dass sich jemand nicht mehr in der Öffentlichkeit
zu einer Religionsgemeinschaft bekennen kann, ohne dass man den Kontakt mit ihm
meidet oder dass er einer gesellschaftlichen Ächtung anheim fällt und dass nicht
das Element der Herabsetzung hinzutritt.
Nun als Beispiel zum Kopftuchverbot: Darf ich das Kopftuch im Unterricht
verbieten? Also nach österreichischem Recht wäre es schon deshalb nicht möglich,
weil es keine gesetzliche Grundlage gibt, auf die man sich stützen könnte. Es
müsste der Gesetzgeber die Voraussetzungen festlegen. Der Europäische
Gerichtshof hatte einmal den Fall zu entscheiden, ob ein Angehöriger der SIKH,
der eine Helmpflicht befolgen musste und damit seinen Turban nicht tragen
konnte, einen Eingriff in seine Religionsfreiheit erleidet. Der Europäische
Gerichtshof hat gemeint, das sei kein Eingriff, sondern das sei eine
gerechtfertige Beschränkung, die sich auf Artikel 9, Absatz 2 berufen könne.
Den Entzug des Sorgerechtes habe ich schon genannt; der Mutter das Sorgerecht
allein deshalb zu entziehen, weil sie irgendeiner bestimmten
Religionsgemeinschaft angehört, ist nicht ausreichend. Es müssen konkrete
Umstände vorliegen, die einen Schluss zulassen, dass die Mutter dieses
Sorgerecht nicht zum Wohl des Kindes ausübt.
Ich wende mich dem zweiten Teil meines Referates, der Frage: „Gibt es auch ein
Bedürfnis auf Schutz vor dem Staat?“ zu. Der Staat hat uns in den letzten Jahren
vor vielerlei gewarnt; vor dem Verzehr bestimmter Nudeln, bestimmter
Fleischprodukte, Genuss von Nikotin und Alkohol, aber auch vor Sekten. Wenn der
Staat lange genug und drastisch genug vor bestimmten Gruppen warnt, dann kann
das für diese Gruppen den Existenzverlust bedeuten, weil sich dann niemand mehr
zu dieser Gruppe bekennen kann, ohne dass er gesellschaftlicher Ächtung oder
Benachteiligungen anheim fällt.
Nun ist die Frage aufgetaucht, wie steht denn die Österreichische Rechtsordnung zu diesem Phänomen der Warnung? Kann man dagegen etwas tun? Einmal hat eine dieser Gruppen probiert, beim Obersten Gerichtshof mit einer Klage auf Unterlassung gegen eine so genannte „Sektenbroschüre“ vorzugehen und hat eine Amtshaftungsklage eingebracht mit der Begründung, hier habe der Bund gehandelt und zwar hoheitlich und daher sei der Bund auch dafür verantwortlich. Der Oberste Gerichtshof hat zwar bejaht, dass es sich hier um eine hoheitliche Staatstätigkeit im Sinn des Artikel 23 der Bundesverfassung handle und daher im Prinzip zumindest Amtshaftung denkbar wäre, er hat allerdings, seiner bisherigen Judikatur folgend, einen Unterlassungsanspruch verneint, weil im Zuge der Amtshaftung nur Geldersatz begehrt werden kann und eine Unterlassungsklage daher nicht zulässig ist. Der Kläger hat daher diesen Prozess verloren; auch der verlorene Prozess hatte aber die Folge, dass diese inkriminierenden Passagen aus dieser Broschüre herausgenommen wurden. Für den Öffentlichrechtler stellt sich die Frage: Wie kann ich mich gegen solche Staatshandlungen schützen? Hier muss man etwas weiter ausholen.
Unser Rechtsschutzsystem hat sozusagen an der Krone den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof. Die Anrufung dieser beiden Gerichte setzt voraus, dass ich durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde in meinen Rechten verletzt bin. Es genügt also nicht die Behauptung, ich bin in meinen Rechten verletzt, sondern ich muss einen Bescheid haben, der mich in meinen Rechten verletzt. Eine Warnung wird aber nicht in der Form eines Bescheides erlassen, sondern das ist ein faktisches Handeln des Staates. Nun hat der Verfassungsgerichtshof schon in den 20er Jahren den Begriff des Bescheides in der Bundesverfassung sehr weit interpretiert. Wenn Sie festgenommen werden von einem Sicherheitsbeamten, kriegen Sie keinen Bescheid, er greift aber in Ihre Rechte ein, in Ihre Bewegungsfreiheit. Der Verfassungsgerichtshof konnte diesen Eingriff erfassen mit seinem weiten Verständnis des Begriffes Bescheid. Das ist ein einseitiges hoheitliches Handeln des Staates, du kannst daher die Festnahme oder auch eine Hausdurchsuchung oder Ähnliches bei mir bekämpfen wegen Verfassungswidrigkeit. Der Verwaltungsgerichtshof war hier wesentlich zurückhaltender.
Der Verfassungsgesetzgeber hat schließlich im Jahre 1975 vorgesehen, dass man sich gegen Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wehren kann. Gemeint ist damit, dass der Staat hoheitlich einseitig von seiner Hoheitsgewalt Gebrauch macht und dass macht er natürlich genau so, wenn er über Daten widerrechtlich verfügt, wenn er in eine Wohnung eindringt, die offen ist und keinen körperlichen Zwang überwinden muss. Das eröffnet uns aber wieder die Möglichkeit, die Frage zu beantworten, wie denn mit Warnungen umzugehen ist? Mit Warnungen, die der Staat vor Sekten, Nudeln und Ähnlichem oder Rindfleisch ausspricht? Wie ist damit umzugehen? Nun, meine Damen und Herren, ist das ein Rechtseingriff, kann das ein Rechtseingriff sein? Ja, selbstverständlich, nämlich dann, wenn die mir durch Artikel 9 der Verfassung gewährten Rechte der Freiheit, diese Religion öffentlich und privat auszuüben, den Kult auszuüben, Andachten zu befolgen, dazu zu gehören, wenn in diese Freiheit durch Warnungen eingegriffen wird.
Es müssen also Warnungen sein, die eine bestimmte Intensität erreichen. Wie stellt man diese Intensität fest? Das ist schwierig. Ähnliche Probleme haben wir oft. Denken Sie etwa an den strafbaren Tatbestand der Verunglimpfung oder der Verächtlichmachung. Das ist eben eine Frage der Auslegung dieser Vorschriften und diese Auslegung muss auf die Kriterien der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit Bedacht nehmen. Verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten muss der Staat wohlwollend auslegen. Das heißt, er muss im Zweifel für die Freiheit entscheiden und darf nicht im Zweifel gegen die Freiheit entscheiden. Wenn ein Eingriff vorliegt, dann heißt das noch nicht, dass dieser rechtswidrig ist. Der Staat darf ja unter bestimmten Voraussetzungen warnen vor bestimmten Gruppen, nämlich dann, wenn sie gefährlich sind. Die Bejahung des Eingriffscharakters eröffnet mir zunächst den Weg zur Rechtskontrolle.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Die
österreichische Verfassung, ich meine jetzt nicht nur den Artikel 9 der
Menschenrechtskonvention, sondern auch das Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867,
verpflichtet den Staat, den Religionsgesellschaften gegenüber neutral zu sein
und den Pluralismus von Religionsgesellschaften in einem Klima der Toleranz
gedeihen zu lassen und Toleranz bedeutet immer auch Schutz dieser Gruppen.
Überblickt man die Verfassungsgeschichte Österreichs in einem ganz großen Bogen,
dann sieht man im 19. Jahrhundert eine sehr liberale Grundhaltung. Das
Staatsgesetz von 1867 und das folgende Anerkennungsgesetz aus dem Jahr 1896
waren überaus liberal und wurden auch sehr, sehr liberal gehandhabt. Das
Österreich der zweiten Republik tut sich ja sehr schwer. Hier ist von
Liberalität wenig zu bemerken; das hat sich vor etwa 10 Jahren gezeigt, als der
Verfassungsgerichtshof den Weg zur Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf
Anerkennung von Religionsgesellschaften frei gemacht hat und eine gegenteilige
Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf allerdings zweifelhafte Weise, aber
immerhin, überrollt hat. Hier hat sich gezeigt, dass man verschiedentlich auf
eine gewisse intolerante Haltung und auf ein Ausschließen von kleinen Gruppen
geradezu stolz war.
Danke schön!!!
Kontakt:
Prof. DDr. Heinz Mayer
Universität Wien
Institut für Staats- und Verwaltungsrecht
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