„Der Koran darf, er soll sogar interpretiert werden“

KIRCHE IN-Interview mit Günther Ahmed RUSZNAK, Moslem, Schriftsteller,
FOREF - Pressesprecher (FOREF = Forum Religionsfreiheit)



KI: Sie sind gebürtiger Österreicher, katholisch getauft und erzogen worden und später zur islamischen Religion übergetreten. Wie kam es dazu?

RUSZNAK:
Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber ich war immer ein Mitläuferchrist und bin mit 21 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Bis zu meinem 45. Lebensjahr haben Gott und Glaube in meinem Leben keine Rolle gespielt. Ich bin gelernter Kaufmann und war zuletzt als Verkaufsleiter bei einem großen deutschen Konzern tätig. Mit 45 Jahren ist dann die Wende in meinem Leben gekommen und ich habe mich gefragt, ob das wirklich alles ist in meinem Leben - Umsätze zu machen, mich mit Mitarbeiterführung zu beschäftigen. Und ich bin zur Erkenntnis gekommen, dass das nicht mein Leben sein kann.

KI: Warum hat Sie gerade die Lehre des Islam angezogen?

RUSZNAK:
Ich bin schon früher durch meine geschäftlichen Reisen in die Türkei mit dem Islam in Verbindung gekommen und habe Leute kennen gelernt, die mein Interesse für diese Religion geweckt haben. In meinem 45. Lebensjahr habe ich dann gewusst, dass der Islam meine Religion ist, er überzeugt mich, spricht mich an. Ich habe dann natürlich auch in meinem Heimatort, in Traun, Kontakte zu Moslems geknüpft, es hat auch eine Moschee gegeben, von der ich vorher gar nichts gewusst hatte. Der Übertritt zum Islam ist sehr einfach - man spricht vor Zeugen dreimal das Glaubensbekenntnis.

KI: Was haben Sie beim Islam gefunden, was Sie zuvor bei der katholischen Religion vermisst haben?

RUSZNAK: Mich hat vor allem die Logik angesprochen. Zum Beispiel, dass der Kreuzestod Christi mit der anschließenden Auferstehung von den Toten, nach meinem Verständnis, so nie stattgefunden haben kann. Oder dass die Reihenfolge der Propheten richtig dargestellt wird. Außerdem hat mich die Bezogenheit auf den Menschen, das Zugehen auf den Menschen bei den Moslems fasziniert.

KI: Seit den Anschlägen vom 11. September ist der Islam stark in Misskredit geraten. Die islamische Bedrohung wird seither in immer grelleren Bildern dargestellt. Ist das berechtigt?

RUSZNAK:
Was mich erschreckt hat, war die Reaktion vieler Muslime nach dem 11. September. In vielen Moscheen war nicht nur Betroffenheit zu spüren, sondern durchaus auch Freude.

KI:
Wird der Islam nicht auch deshalb als Bedrohung angesehen, weil er im Unterschied zum westlichen Kulturkreis die Aufklärung nicht mitvollzogen hat?

RUSZNAK: Es ist eigentlich der wichtigste Kritikpunkt, dass die Aufklärung fehlt. Es gibt aber Bestrebungen in Europa, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Islam mit europäischen Werten vereinbar zu machen, ohne die Religion grundsätzlich zu verändern. Der Göttinger Universitäts- Prof. Dr. Bassam Tibi, ein wichtiger Vertreter dieser Bewegung, hat dafür den Namen „Euro-Islam“ bekannt gemacht.

KI: Wäre es nicht auch notwendig, den Koran einer kritischen Exegese - so wie es beim Alten und Neuen Testament geschehen ist, zu unterziehen? Es sind doch einige Stellen darin enthalten, die für westliche Ohren sehr befremdlich klingen, wie zum Beispiel der Satz, der gegen die Glaubens-Abtrünnigen gerichtet ist: „Wo immer ihr sie findet, dürft ihr sie töten!“

RUSZNAK:
Dieser berühmte Satz wird tatsächlich immer wieder zitiert. Aber man muss auch den Satz lesen, der davor steht, und den, der danach kommt. Damit wird dann schon wieder alles relativiert. Es ist erforderlich, dass man den Koran sehr genau liest, dass man sich intensiv Gedanken darüber macht - und dann wird man entdecken, dass nichts darin enthalten ist, was geändert werden könnte. Im Gegenteil, man kann aus dem Koran sehr viele Gedanken für die heutige Zeit schöpfen und sich Inspirationen holen. Der Koran darf, er soll sogar interpretiert werden. Und daran muss man arbeiten. Der erste Schritt wäre jedenfalls, überholte Meinungen von beiden Seiten - von Christen und Moslems - zu widerlegen.

KI: Sie bezeichnen sich selbst als Anhänger des Euro-Islam. Wie stark ist der Widerstand gegen Sie und Ihre Gesinnungsfreunde innerhalb der islamischen Gemeinschaft?

RUSZNAK: Der Widerstand geht in die Richtung, dass meistens gesagt wird, es gibt nur einen Islam - und damit ist die Debatte erschöpft. Eine sehr engstirnige Ablehnung von zukunftsweisenden Wegen für ein besseres Miteinander.

KI: Gibt es überhaupt Toleranz im Islam? Auch die Toleranz gehört doch zu den Früchten der Aufklärung, die der Islam nicht mitvollzogen hat.

RUSZNAK:
Mit der Toleranz sieht es schwierig aus. Bei Diskussionen zum Thema Euro-Islam, um noch einmal dieses Beispiel zu bringen, lädt man entweder nur Gegner ein oder es gibt einen Befürworter, den man mit Hilfe anderer Redner mundtot zu machen versucht. Es ist leider so, dass sich viele Moslems gar nicht mit diesen Themen auseinandersetzen.

KI: Wie sieht die Einstellung gegenüber den Frauen im sogenannten Euro-Islam aus?

RUSZNAK:
Ich denke, da gibt es nicht viel zu ändern, wenn man tatsächlich die Grundlagen erfüllen würde, die im Koran vorgegeben werden.

KI: Kann man denn wirklich von einer Gleichstellung der Frau im Islam reden - angesichts der Tatsache, dass in islamisch regierten Ländern Frauen nicht einmal im mindesten ähnliche Rechte wie Männern zugestanden werden?

RUSZNAK:
Im Koran ist die absolute Gleichwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann grundgelegt. Allerdings müsste das auch so gelebt werden - und da sieht es von der Tradition her schlecht aus. Auch in unserer Moschee in Traun hat es mich von Anfang an gestört, dass es immer bloß eine Männerrunde gab. Ich dachte, diese Situation müsste unbedingt geändert werden, aber ich bin sofort auf massive Widerstände gestoßen. Die Männer haben sich dagegen gesträubt, die Frauen in die Moschee kommen zu lassen.

KI: Um die Integration der Moslems in Österreich ist es schlecht bestellt. Woran liegt das?

RUSZNAK:
Beide Seiten, die Moslems und die Österreicher sind gefordert, etwas zu tun. Auf der österreichischen Seite wäre mehr Toleranz, mehr Respekt notwendig. Auf muslimischer Seite müsste zum Beispiel viel in Bezug auf die Erlernung der deutschen Sprache getan werden. Der Integrationsvertrag, der bestimmt auch seine Schwächen hat, ist jetzt zumindest eine Grundlage. Der Deutschunterricht sollte für alle verpflichtend sein, denn die Sprache ist die Grundlage für das Zusammenleben.


KI: In Deutschland ist vor kurzem der Streit um das Kopftuch entbrannt. Die Lehrerin Fereshta Ludin besteht darauf, das Kopftuch auch im Unterricht zu tragen. Geht es hier um eine Identitätsfrage, um ein religiöses oder ein politisches Zeichen?

RUSZNAK:
Die Grundlage dieses Problems ist die erste Welle der Zuwanderung, mit der vor allem Leute aus Ost-Anatolien und aus anderen ländlichen Gebieten zu uns gekommen sind. Dort ist das Kopftuch auch heute noch gang und gäbe und wird nur allzu oft als verpflichtend in der Glaubensausübung angesehen. Im Lauf der Zeit fand allerdings durchaus auch eine Politisierung dieses Symbols statt. Grundsätzlich ist das Tragen des Kopftuchs kein Gesetz, kein Gebot, sondern eine Empfehlung. Wenn eine Frau sagt, sie identifiziere sich mit dem Glauben, sie sei streng gläubig und möchte das auch zum Ausdruck bringen - dann habe ich jedes Verständnis dafür. Wenn es aber bloß aus Tradition, weil es der Mann will oder aus politischen Gründen getragen wird - dann weg damit. Man erkennt den Gläubigen ohnehin nicht an Äußerlichkeiten.

KI: Was würden Sie der Lehrerin Fereshta Ludin raten?

RUSZNAK:
Grundsätzlich würde ich sagen, jeder soll tragen, was er will. Wenn das Kopftuch aber auf derart massiven Widerstand stößt, soll sie es herunternehmen. Der Friede ist wichtiger.

KI: Herr Rusznak, herzlichen Dank für das Gespräch

E-Mail: rusznak@religionsfreiheit.at