"Bundesstelle für Sektenfragen"


FOREF Kommentar:

Kritik von ICRF (Brief an Dr. Bartenstein- 27.Dezember 1998)

Auf  Dr. BARTENSTEINS Zusicherung hin, dass diese Bundesstelle unabhängig von seiner "Sektenpolitik" agieren wird und eine neutrale Funktion haben soll, hat der Nationalrat den Antrag mehrheitlich  angenommen. 

Es stellt sich jedoch die Frage, ob das auch geschehen wäre, wenn die Nationalräte schon zur Zeit der Parlamentsdiskussion gewusst hätten, dass Familienminister Bartenstein German MÜLLER zum Leiter dieser Stelle machen wird: Herr Dr. MÜLLER war/ist langjähriges federführendes Mitglied der "Gesellschaft gegen Sekten & Kultgefahren" (GSK)

Somit scheint diese ursprünglich als "neutral" deklarierte Bundesstelle zum staatlich sanktionierten Instrumentarium einiger "Sektenphobiker" im Parlament geworden zu sein. Eine Gesetzesnovelle ist in diesem Falle unumgänglich.


Innsbruck, den 27. Dezember 1998

Sehr geehrter Herr Dr. Bartenstein,

da ich Ihnen schon einen Brief per E-mail geschickt habe, worauf ich jedoch kein Feedback bekam, möchte ich Ihnen noch einmal schreiben. Obwohl der Inhalt dieses Briefes meine persönliche Meinung darstellt, so repräsentiert er auch die Meinung vieler ÖsterreicherInnen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften.

Meine Frau und ich (inklusive unserer vier Kinder) möchten Ihnen für Ihre Familienpolitik danken. Sie haben wirklich sehr viel Positives für Familien in Österreich getan. Leider gibt es aber auch viele tausende Eltern und Kinder in unserem Lande für die Sie und Ihr Ministerium auch Probleme schaffen. Damit sind die Familien gemeint, die zu den zahlreichen religiösen Gruppierungen gehören, die hierzulande noch nicht staatlich anerkannt sind.

Wahrscheinlich sind Sie sich dessen gar nicht bewußt, was Sie durch Ihre Aktionen und Publikationen gegen religiöse Minderheiten und damit auch gegen die fundamentalen Menschenrechte österreichischer Staatsbürger bewirken. Mitglieder solcher Gruppen in nahezu allen Bundesländern berichten, dass sie soziale Ausgrenzung, Intoleranz, Mobbing, etc., aufgrund der Anti-Sekten-Kampagnen Ihres (und Gehrers) Ministeriums erfahren haben. Außerdem bekommen auch Kinder in den Schulen Probleme wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit.

Herr Dr. Bartenstein, Sie verteidigen ihre Position gegenüber kleineren religiösen Gruppen mit dem Argument der "wehrhaften Demokratie" (Podiumsdiskussion in Innsbruck, 13.9.1997), bedenken aber nicht, dass es auch wehrhafte Demokraten unter denen gibt, die Sie so eifrig angreifen. Sie freuen sich offensichtlich darüber, dass der Nationalrat im Juli die Bundessektenstelle nun endlich bewilligt hat. Die Frage stellt sich, ob der Nationalrat auch so willig gewesen wäre, wenn sie damals offen deklariert hätten, dass sie es vorhaben, jemanden als Geschäftsführer dieser Stelle einzusetzen, der ein profilierter "Sektenhetzer" ist. Sie haben selbst behauptet (APA), dass es einen ausschlaggebenden Faktor dafür gibt, warum sie gerade German Müller von den dreizehn Anwärtern ausgewählt haben: nämlich seine zehnjährige Erfahrung als  führendes Mitglied in der "Gesellschaft gegen Sekten und Kultgefahren" (GSK).

Damit sind die Weichen für den Kurs dieser Bundesstelle schon gestellt. Es ist offensichtlich, dass es dieser Institution nicht gerade um die Förderung von gegenseitigem Verständnis in einer zunehmend multi-kulturellen Gesellschaft gehen wird. Auch nicht etwa um Mediation oder Konfliktlösung. Dieses Projekt, welches jährlich fünf Millionen Schilling unserer Steuergelder schlucken wird, scheint eher dem Staate als ein Instrumentarium für seine Gesinnungsschnüffelei zu dienen. Oder, ist es vielleicht auch nur ein Politikum, ein Haschen nach Wählerstimmen, das auf den Rücken von religiösen Minderheiten ausgetragen wird? Dadurch, dass die Großkirchen von der Beobachtung durch diese Stelle ausgenommen sind, obwohl auch sich auch dort Gruppen mit "sektenhaften Strukturen" befinden (siehe neues "Profil" Titelgeschichte), verzweifacht die Heuchelei dieses Projektes. Es ist jedenfalls paradox, dass uns das gerade im Jubiläumsjahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte widerfährt.

Nach einer Meinungsumfrage, in der neun von zehn Österreichern als "sektenängstlich" identifiziert werden (wohl keine Überraschung, nachdem Ihr Ministerium zusätzlich zu den Sektenstellen der Diözesen jahrelange Angstmache betrieben hat), fühlten Sie sich in Ihrer Vorgangsweise gegen diese Gruppen bestätigt und rechtfertigten sich mit dem Argument: "man müsse doch etwas dagegen tun, um diesen Gefühlen der Bürger gerecht zu werden". Falsch! Genau mit denselben Argumenten wurde auch Jesus Christus vor 2000 Jahren gekreuzigt. Die Mehrheit hat nicht immer recht. Leider gab es damals noch keine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und auch keine Verfassung im heutigen Sinne, um Minderheiten Schutz zu bieten. Herr Bundesminister, es ist weder fair, noch richtig, wenn Sie Ihr öffentliches Amt und öffentliche Gelder dazu benützen, Ihre Vorurteile gegen Andersdenkende auszuschlachten.

Sie nennen "Sekten" und Drogen in einem Satz (Homepage). Bedenken Sie dabei nicht, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit gerade die Teenagers aus den Familien religiöser Minderheiten diejenigen sind, die in einer moralisch positiven Atmosphäre aufwachsen, und daher auch weniger anfällig sind für Drogen, HIV, Alkohol und Gewalt? Wäre es nicht ein brauchbares Projekt für Ihr Ministerium oder German Müller, professionell zu recherchieren, wer anfälliger für die soeben genannten Gesellschaftsprobleme sind: die "normalen" Bürger oder die Angehörigen religiöser Minderheiten? Auf der Basis einer solchen Vorarbeit (und nicht nur aufgrund von Ängsten und Vermutungen) könnte man dann Projekte etablieren, die wirklich nützlich für unsere Gesellschaft wären.

Durch die Ergebnisse der zweijährigen Bonner Enquete-Kommission hat die deutsche Bundesregierung erkannt, dass "Sekten" keine reelle Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen, und dass viele dieser Gruppen sogar auf die Bedürfnisse des modernen Menschen eingehen, wie es z.B. die Großkirchen nicht mehr in der Lage sind. Außerdem sagt die Bonner Regierung in ihrer offiziellen Pressemitteilung, dass sie die Bezeichnung "Sekte" für Religionsgemeinschaften nicht mehr verwenden wird, da dieses Wort negativ belastet ist.

Da bleibt nur noch zu hoffen, dass unsere österreichischen Politiker etwas von unseren deutschen Nachbarn lernen werden.

Hochachtungsvoll,

Peter Zöhrer

ICRF, Repräsentant - Österreich


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