Anleitungen für neue Inquisitoren

oder

Neun "goldene" Inquisitionsregeln


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Eine Zusammenfassung aus dem letzten Kapitel des Buches von Prof. DDr. Hubertus MYNAREK


Die folgenden Anleitungen oder Anweisungen für heutige Inquisitoren stehen in keiner amtskirchlichen Verordnung oder Verlautbarung, in keinem theologischen Lehrbuch. Und dennoch sind sie das ungeschriebene Gesetz, an das sich jeder zu halten hat, der als kirchlicher Sektenbeauftragter Karriere machen will. Im Rahmen eines Schlußkapitels können nicht alle Regeln, an die sich Inquisitoren zu halten haben, aufgelistet werden, nicht einmal alle die, welche sich aus dem in den vorhergehenden Kapiteln behandelten Komplex ihrer Mentalität und Motivation, ihres Charakters und Verhaltens erschließen lassen bzw. dort schon ergeben haben. Einige wichtige Regeln seien dennoch nochmals angeführt:


l. Regel:

"Right or wrong - my church!".

Das ist die erste und allerwichtigste Regel für einen Inquisitor alter wie neuer Prägung. Er muß vollkommen überzeugt sein oder wenigstens so tun, als ob er total überzeugt ist, daß sich alles Heil in der Kirche, alles Unheil außerhalb der Kirche, vor allem in den "Sekten", befindet; daß auch die schlimmste Lüge und Verleumdung entschuldbar und ethisch gerechtfertigt ist, wenn sie "pro ecclesia", im Dienst der Kirche, zu ihrer Verteidigung oder zur Mehrung ihres Ruhms geschieht. Durch nichts, rein gar nichts darf er sich daran hindern, davon ablenken lassen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um der Kirche überall und zu jeder Stunde zum Sieg, zum Triumph zu verhelfen. Und, wie gesagt, jedes Mittel soll ihm dabei recht sein. Bis heute ist in der katholischen Kirche Papst Innozenz' III. Exkulpierung von Ketzerkillern nicht widerrufen: "Wer einen Ketzer aus Liebe zur Kirche tötet, begeht kein Verbrechen." Aus Liebe zur Kirche darf jede andere Liebe mit Füßen getreten werden, aus Rücksicht auf das übergeordnete Wohl der Kirche darf ansonsten uneingeschränkt rücksichtslos vorgegangen werden.

Merke: Die Kirche, d.h. ihre höchsten offiziellen Vertreter sind in dieser Hinsicht nicht kleinlich. Ihnen ist es im Grunde egal, ob der von ihnen eingesetzte Inquisitor eine selbstlose, reine, geistige Liebe zur Kirche im Herzen trägt. Entscheidend in ihrem Sinn ist nur, daß er seine Interessen - und seien dies die egoistischsten Karriereabsichten - allen Interessen und Machttendenzen der Kirche total unterordnet und ständig vor der Öffentlichkeit behauptet und so tut, als ob es ihm ganz selbstlos immer nur um das Wohl der Kirche und der menschlichen Gemeinschaft geht.

Es liegt in der Natur und Konsequenz der Sache, daß die Herren der Kirche in Wirklichkeit keine Achtung vor den von ihnen eingesetzten Inquisitoren haben. Für sie sind die Sektenbeauftragten kleine Handlanger, die die Drecksarbeit für die Kirche verrichten, ein notwendiges Übel. Aber natürlich zeigen sie den Inquisitoren ihre Verachtung nicht, sagen ihnen auch nicht, daß sie sich selbst mit dieser Schmutzarbeit nicht die Hände dreckig machen würden. Auch die erste Garnitur katholischer und evangelischer Theologen, vor allem die Universitätstheologen, beteiligen sich im allgemeinen nicht an der Sektenjagd, dieser erneuerten Form der Inquisition. Das wäre in ihren Augen unter ihrer Würde. Keiner der intelligenteren Theologen glaubt noch an die Einzigartigkeit und Überlegenheit seiner Konfession, seiner Kirche, über alle anderen Religionen und Denominationen. Er weiß, daß in den sog. Sekten mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr Wahrheitsgehalt steckt wie bzw. als in seiner Kirche. Nur: Sagen tut er das gewöhnlich auch nicht, aus Angst vor Nachteilen und dem in unserer bundesrepublikanischen Wirklichkeit eklatanten und konstitutiven Mangel an Zivilcourage und Wahrhaftigkeit.

Die kirchlichen Sektenbeauftragten sind im allgemeinen auch Theologen, aber eben Theologen der zweiten oder dritten Garnitur, die es zur Ehre eines Universitäts- oder auch nur kirchlichen Hochschulprofessors ohnehin nie gebracht hätten, die deshalb aber den sie berufenden kirchlichen Oberen überaus dankbar dafür sind, daß sie sie aus dem eintönigen Pfarrerdasein, noch dazu oft in einem Dorf oder einer Kleinstadt, herausgeholt und ihnen damit die einzigartige Möglichkeit gegeben haben, ans Licht der Öffentlichkeit zu gelangen und wenn schon nicht von den Kirchenfürsten und der ersten Garnitur der Theologen, so doch von den Medien ernstgenommen zu werden. Ihre ergebene Dankbarkeit beweisen sie nun, indem sie sich ganz und gar, mit Haut und Haaren dem Prinzip "Right or wrong - my church" verschrieben haben. Ihr Herz schlägt noch schneller, ihre Dankbarkeit wird noch größer, wenn sie die Trauben von Presseleuten sehen, die von ihnen als "Experten" Sektencharakterisierungen erbitten. Denn "zu Hause", in ihrer Pfarrgemeinde, waren es nur ein paar alte Leutchen, die noch m ihren Gottesdienst kamen. Und groß geachtet und beachtet waren sie da auch nicht.


2. Regel:

Gehe darin auf, Kirchenfunktionär, nichts als Kirchenfunktionär zu sein.

Aber zeige das nicht vor der Öffentlichkeit, vor ihr geriere dich als der Experte für religiöse und weltanschauliche Fragen. Spiele den objektiven, nur der Wahrheit verpflichteten Wissenschaftler, aber auch den um das Wohl der Menschen bekümmerten Seelsorger, der wegen der "Schäden", die die "bösen Sekten" den Menschen, vor allem Jugendlichen zufügen, zutiefst betroffen ist, ja darunter ehrlich leidet. So werden deine Warnungen vor den Sekten um so glaubwürdiger klingen.

Totaler Kirchenfunktionär sein, das bedeutet, die erste Regel ("right or wrong - my church!") zum innersten Kern des eigenen Seins und Lebens zu machen und von da aus auf alle Bereiche der Seele und des Körpers ausstrahlen zu lassen. Also nichts mehr denken als das, was und wie die Amtskirche denkt, nichts mehr wollen als das, was die Kirche will, nichts mehr fühlen, für alles zutiefst unsensibel sein, außer für das, was der Kirche am Herzen liegt; nichts mehr tun als das, was die Kirche befiehlt oder auch nur gern getan sähe.

Für den totalen Kirchenfunktionär, der der Inquisitor ja sein muß, gibt es nun keine Wahrheit mehr außer der, die seine Kirche verkündet, selbst wenn diese Kirchen-Wahrheit die gut verpackte fundamentalste Universal-Lüge ist. Der Kirchenfunktionär hat auch sein individuelles Gewissen über Bord geworfen. Sein Gewissen ist die Kirche, ihre oft zweifelhafte und inhumane Moral. Deutlich und vielfach sagt es Papst Johannes Paul II. in seinen Enzykliken, seinem Katechismus und Codex luris Canonici, daß das persönliche Gewissen nichts gilt, wenn es den von der Kirche aufgestellten "objektiven" Normen der Moral nicht entspricht. Protestanten aber brauchen an sich überhaupt solche Normen für ihr Verhalten nicht. Sie können fröhlich und massiv sündigen, wenn sie nur ebenso fest an Gottes Rechtfertigungsgnade glauben (s. diesbezüglich die eingehenderen Betrachtungen unter 6.1.1, 6.1.2, 6.1.3 in diesem Buch). Für sie reduziert sich dann die Moral darauf, daß sie sich an die in der Gesellschaft, in der sie leben, üblichen Konventionen halten. Der Heuchelei sind damit Tür und Tor geöffnet!

Insgesamt aber kann und darf der totale Kirchenfunktionär auch grenzenlos schamlos, inhuman und unmoralisch sein, nämlich in bezug auf den ganzen Bereich jenseits der Grenzen der Kirche. Die Moralgesetze gelten nur innerhalb der Kirche, gegenüber deren eigenen Mitgliedern. Wo z.B. die "Sekten" beginnen, ist die Kirchenmoral suspendiert. Da macht sie ausgiebig Ferien, da ist die moralfreie Zone, wo man als Kirchenmann verbrecherisch handeln kann, sich an keine Gesetze des Anstands, der Höflichkeit, der Toleranz, der Wahrheits- und Unschuldsvermutung, der Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit halten muß.

Da der höchste Idealtyp des Menschen in kirchlicher Sicht der Kirchenfunktionär ist, da also der absolute Gehorsam gegenüber den kirchlichen Oberen das A und 0 der Kirchenmoral darstellt (explizit in der Verkündigung der katholischen Amtskirche, implizit-heuchlerisch, aber nicht minder effektiv in der evangelischen Amtskirche, in der keiner eine Kirchenkarriere machen kann, der nicht vor den Oberen kuscht), hat das Kirchenchristentum ja auch nie eine "Zivilisation der Liebe" entwickelt, statt dessen die finstersten und grausamsten Zeitalter der Inquisition hervorgebracht. Und auch eine "echte Streitkultur" im Sinne des gleichberechtigten Dialogs trotz unterschiedlicher, argumentativ vorgetragener Meinungen hat das Kirchenchristentum nie geschaffen. Kein Wunder, daß es mit den sog. Sekten nicht kultiviert umzugehen vermag, es nie vermochte.


3. Regel:

Verfolge mit glühendem Haß alles, was nicht Kirche ist, nicht zur Kirche gehört, nicht in positiver Beziehung zur Kirche steht.

Du wunderst dich vielleicht, daß du als Mann der Kirche Haß hegen sollst. Aber dieser Haß ist nur die notwendige Kehrseite der Liebe zur Kirche. Je mehr du diese hebst, d.h. als totaler Kirchenfunktionär dich für sie einsetzt, um so mehr mußt du all das hassen, was ihr nicht genehm ist. Als Jesus die Liebe selbst zu den ärgsten Feinden predigte, hat er diese notwendige Polarität der Liebe nicht bedacht. Wir, die Herren der Kirche, sehen da aufgrund einer langen Geschichte des Christentums tiefer und richtiger. Selbst die Inquisition war doch ein Produkt der Liebe zur Kirche. Es war im Grunde auch die Liebe zu den Hexen, Häretikern, Schismatikern, Atheisten, Agnostikern, also zu allen Sorten von Sektierern, die uns bewog, sie zu hassen, mit glühendem Haß zu verfolgen, um ihre Seelen für Gott und die Kirche zu retten.

Bedenke, daß Haß als Kehrseite und Gegenpol der Liebe eine gewaltige Kraft, eine ungeheure Energie darstellt, die sogar mächtiger als die Liebe und unerhört wirksam ist, wenn sie richtig angewendet und eingesetzt wird. Also setze sie als stärkste Waffe der Kirche gegen alle ihre Feinde ein! Haß hat auch, was Jesus so noch nicht erkannt hatte, eine ungemein reinigende und befreiende Wirkung. Wenn du nämlich alles, was in dir, in deiner Seele an Dunklem, Häßlichem, Schlechtem, Bösem, Boshaftem, Bösartigem, Niederträchtigem, Gemeinem, Teuflischem schlummert, in deinen Haß investierst und integrierst, dann stärkst, dann potenzierst du diesen, machst du ihn zu einer fast schon unendlichen Kraft.

Und wenn du diese Kraft dann gegen die Sekten richtest, sie gleichsam auf sie abschießt, dann verläßt dich mit diesem Schuß auf die Sekten alles bisher in deiner Psyche hausende Negative und Destruktive und nimmt seinen Platz nun in den Sekten ein. Dort kannst und sollst du es nun nach Herzenslust bekämpfen, mit allen, was dir zur Verfügung steht, mit all deiner Aggressivität, deiner Jagdlust und Jagdsucht, deiner Rachsucht und Konkurrenzangst, deiner Hartherzigkeit und Gefühllosigkeit, deiner Verachtung für Minderheiten, die du im Vergleich mit der mächtigen Kirche durchaus auch als minderwertig ansehen darfst und sollst. Du wirst es erleben: Haß, auf die Sekten projiziert, entlastet dich von allem destruktiven Ballast deiner Seele. Es handelt sich hier um den perfektesten Entlastungsmechanismus überhaupt. Hasse mächtig, verfolge mit glühendem Haß, und es wird dir wie eine großartige Entsühnung und Entsündigung deines ganzen Seins vorkommen. Denn alles Schlechte ist nun nicht mehr in dir, sondern in den Sekten!


4. Regel:

Du darfst aber diesen deinen Haß (s. 3. Regel) nicht offen zeigen, sondern du mußt ihm den Deckmantel selbstloser Engagiertheit und menschlichster Betroffenheit umlegen.

Sonst gefährdest du dein wichtigstes Anliegen: Die Vernichtung aller Sekten zum Wohl der Kirche. Die Leute, die du bearbeitest, indoktrinierst, suggerierst, hypnotisierst, wollen keinen Haß sehen, sie kennen ja nicht den positiven Mechanismus des Hasses, sie assoziieren Haß nur mit Negativem. Merkten sie also, daß deine Triebfeder der Haß ist, würden sie dir unlautere Motive unterstellen - sehr zum Schaden der Kirche. Sprich also ruhig, mit sich nicht überschlagender Stimme, aber entschlossen, dezidiert. Gestikuliere nicht zu stark, aber aussagekräftig. Und setze stets die ernste Betroffenheitsmiene auf. Die zeigt den Leuten am anschaulichsten den Ernst der Lage, die schlimme Bedrohung durch die Sekten. Nur in besonderen Fällen darfst du deiner Empörung über Schandtaten, die die Sekten begangen haben sollen, freien Lauf lassen. Kontrolliere dabei aber ständig den Empörungspegel bei deinen Zuhörern, um den Bogen nicht zu überspannen.

Zeige dich selbst nie hochmütig oder arrogant. Deine Miene, deine Gestik, deine ganze Gestalt muß, was du ständig üben solltest, die Mitte, das Gleichgewicht finden und ausdrücken zwischen vorgetäuschtem enormem Wissen (über die Sekten) und vorgespielter tiefer Demut. Rundumschläger, wüste und wütende Typen wie z.B. der selige Pfarrer Haack, dessen große Verdienste in der Sektenbekämpfung wir vorbehaltlos anerkennen, werden auf die Dauer keinen Erfolg haben. Deshalb beherzige das hier über das richtige Maß Gesagte. Über die neuen religiösen und spirituellen Bewegungen, denen wir ja den verächtlichen Oberbegriff "Sekte" als Stempel aufgedrückt haben, darfst und sollst du nur das Übelste und Schlechteste denken und annehmen. Vor deinen Zuhörern aber äußere diese deine Meinung, die auch die der Kirche ist. nie ganz offen, sondern so verschlüsselt, daß deine eigentliche Intention, die Vernichtung aller Sekten, nicht zum Vorschein kommt. Es wäre katastrophal, wenn man dein Vernichtungsstreben schon an deinem Gesicht ablesen könnte. Also erscheine stets lieber eine Prise zu fromm als zu feindselig.


5. Regel:

Gib nie einen Fehler oder eine Schuld der Kirche zu.

Bedenke, daß ja ein wesentlicher Grund, weswegen wir die Sekten so bekämpfen und verfolgen, der ist, daß wir dadurch am effektivsten von unseren eigenen Verbrechen, Fehltritten und Verirrungen ablenken. Du weißt doch oder solltest wissen, daß auch unsere schlimmsten und größten sog. Verbrechen aus der Liebe zur Kirche resultierten, somit gar keine wirklichen Verbrechen waren. Aber dem Durchschnittsbürger ist das nur schwer zu vermitteln. Also versuche das erst gar nicht. Vielmehr weise immer wieder auf alle möglichen dunklen Punkte in den Sekten hin, stelle sie als Ausbeuter, Unterdrücker, Indoktrinierer. Gehirnwäscher, Faschisten, Totalitäre, Selbst-Bereicherer, Okkultisten. Irrationalisten, eklektische Religionsverfälscher, Verführer, Feinde des Staates und der Gesellschaft, Selbstmord-Prediger, Schädiger und Mißbraucher von Kindern und Jugendlichen hin. denn damit lenkst du am wirksamsten von der Schuld der Kirche ab und davon, daß all dies in der Geschichte der Kirche massive Vorbilder und Parallelen hat und weitgehend auch noch heute geschieht, dies allerdings mit der Einschränkung, daß das in der Kirche einen ganz anderen, viel positiveren Stellenwert hat. Denn auch das Schlimmste, Böseste, Grausamste, Unmenschlichste, das von Vertretern der Kirche begangen wird, wird sozusagen sakral und sakramental exkulpiert und geheiligt, wenn es aus Liebe zur Kirche getan wurde. Und außerdem haben wir das einzigartige Vergebungsinstrument aller Verbrechen in Form der Beichte.

Auch bei der "Aufklärung" über die dunklen Punkte der Sekten mußt du natürlich die richtige Dosis finden und verabreichen. Wenn du es zu massiv machst, werden es dir die Leute nicht abnehmen. Gehe also diplomatisch vor und erwecke stets den Eindruck, daß du über die negativen Seiten der Sekten nicht aus Sensationslust, Enthüllungssucht oder gar Haß informierst, sondern allein aus schmerzerfüllter Sorge um die Menschen, die in die Fangarme der verbrecherischen Sekten geraten sind. Gut macht es sich auch, wenn du dich bei dieser "Informationsarbeit" auf parallel laufende Enthüllungen staatlicher Stellen und Sektenbeauftragter berufen oder deine Meinung bestätigende Aussagen prominenter Persönlichkeiten zitieren kannst. Du kannst dabei ziemlich sorglos vorgehen. Deine Zuhörer wissen ja in den allermeisten Fällen nicht, daß staatliche Stellen und Sektenbeauftragte, Presse-, Rundfunk- und Fernsehleute oft nur das wiederholen, was du oder deine Kollegen ihnen vorgekaut haben. Also diesen Kreislauf durchschaut Otto Normalbürger nicht. Darauf kannst du dich verlassen.

Es kann allerdings bei Diskussionen (auf die du dich jedoch möglichst wenig einlassen solltest, besser ist es, du predigst oder trägst autoritativ vor) passieren, daß kritische Zuhörer Vergleiche mit den Untaten der Kirche anstellen und nach deren Schuld fragen. Wenn du dieser meist boshaften Fragerei überhaupt nicht mehr ausweichen kannst, dann hilf dir mit möglichst nichtssagenden Floskeln. Sprich von dein anderen Zeitgeist einer vergangenen Epoche, in die wir uns adäquat gar nicht mehr hineindenken können, wobei es historisch ohnehin nicht zulässig sei, "von außen" eine frühere Epoche zu beurteilen.

Geht es um "Verbrechen" der Kirche in jüngerer Vergangenheit (Faschismus, Nationalsozialismus, Stasi-Kontakte, Ermordung von 750.000 Serben durch faschistisch organisierte kroatische Katholiken usw.), dann weise enthusiastisch auf die "vielen" kirchlichen Märtyrer unter diesen Regimen hin. Die dunklen Geschäfte der Kirche mit der Mafia verweise einfach entrüstet in das Reich der Fabel und der von Kirchenfeinden geschürten Gerüchte. Nimm dir das allerbeste Beispiel am Papst, der die Inquisitionsarchive des Vatikans nur bis 1903 freigegeben hat, weil das meiste bis dahin ohnehin schon bekannt war, während die Verbrechen der Kirche nach diesem Jahr. ihre Verfolgung von modernistischen Theologen, Atheisten, Schriftstellern, Sektierern aller Couleur dem Auge der Öffentlichkeit weiterhin vorenthalten bleiben.

Auch eine weitere Vorgehensweise des Papstes sollte für dich vorbildlich und nachahmenswert sein. Der Papst hat nie eine Schuld der "Kirche als solcher" zugegeben. Das darfst auch du niemals tun. Wie der Papst kannst du in gravierenden Fällen schmerzerfüllt zugeben, daß Verbrechen an den Juden, an Frauen, an Ketzern usw. leider auch von Christen begangen worden sind, die sich an die Gesetze der Kirche nicht gehalten haben. Sei immer deines Auftrags eingedenk, daß durch dein Reden und Verhalten nie der geringste Schatten auf unsere Mutter Kirche fallen darf.

Je nach Angemessenheit der Situation kann es manchmal auch angebracht sein, die gespannte Atmosphäre durch eine Anekdote oder einen Witz zu entschärfen. Erzähl irgendeinen harmlosen Scherz über eine sehr menschliche Angewohnheit eines alten Inquisitors oder mach dich lustig über die Schwächen und Unfehlbarkeiten verschiedener Sektengurus (wohlgemerkt: nicht des Hl. Vaters). Wenn dann alle oder die meisten mitlachen, kannst du diesen Augenblick benutzen, um - z.B. aus Zeitmangel - ein weiteres Thema in Angriff zu nehmen, das mit der Schuld der Kirche nichts mehr zu tun hat.


6. Regel:

Wirf alle Sekten möglichst in einen Topf.

Du weißt, daß es die unterschiedlichsten religiösen Gruppierungen gibt und manche absolut ungefährlich, einige ganz wenige destruktiv und gefährlich sind. Das braucht aber das Volk nicht zu wissen. Drücke den Stempel des verächtlichen Wortes "Sekte" auf alle religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften außerhalb der Kirche. Das erleichtert den Leuten die Orientierung und uns die Arbeit. Wenn wir differenzieren, fangen die Menschen an zu denken und laufen uns weg. Deshalb muß alles Religiöse und Weltanschauliche außerhalb der Kirche mit einem negativen Image versehen werden.

Stelle Scientology oder eine andere in der Öffentlichkeit hart attackierte Sekte in den allerschwärzesten, makabersten, menschenfeindlichsten Farben dar und übertrage dann dieses negative Muster, dieses abschreckende Modell auf alle Sekten überhaupt. Ganz leicht schaffst du es auf diese Weise, daß die Leute bald alle religiösen, esoterischen, exotischen, spirituellen usw. Gruppierungen nach diesem Negativ-Muster betrachten und behandeln. Hüte dich aber, autoritäre, diktatorische, faschistoide Gruppierungen und Kulte in der Kirche auch nur zu erwähnen. Sollte ein boshafter Diskutant dich trotzdem darauf ansprechen, dann weise ihn damit zurecht, daß die Kirche Macht genug habe, solche innerkirchlichcn Gruppierungen stets unter Kontrolle zu halten. Verschweige aber absolut, daß die Kirche selbst die autoritärste, diktatorischste Form von Religion ist, weswegen sie auch in ihrer Geschichte immer wieder Bündnisse mit faschistischen Systemen geschlossen hat.

Verschweige auch stets den totalen Weltbeherrschungswillen der Kirche. Weise im Gegenteil empört und entschieden zurück, daß solche Pseudoreligionen wie die Sekten sich überhaupt zu vergleichen erkühnen mit jener klassischen und höchsten Form von Religion, wie sie die Kirche darstelle. Sage auch nichts darüber, daß die Kirche als Sekte, als kleine Abspaltung von der jüdischen Religion angefangen hat und alle wesentlichen Merkmale, die du bei den Sekten bekämpfst, auf die Kirche zutreffen. Verschweige ebenfalls, daß viele Attribute der Kirche, z.B. ihre Art der Rekrutierung von Gläubigen (Taufe unmündiger Kinder) und Ordensleuten, ihre Drohung mit ewiger Verdammnis wegen auch nur einer "Tod"-Sünde, ihre Lehre von der ungerechten Vorherbestimmung der Menschen entweder zum Himmel oder zur Hölle ohne Rücksicht auf ihre Taten usw., diese Institution in die Reihe der destruktivsten Kulte und Sekten stellen. Mach dich lustig darüber, daß die sektiererischen "Pseudoreligionen" überhaupt so vermessen sein können, im Namen der aller Ehre würdigen Religion zu sprechen. Dieses Privileg gebühre allein der Kirche.


7. Regel:

Formalisiere dein Innenleben, organisiere es ganz und gar nach dem Muster der Kirchengesetze.

Halte dich schlicht und einfach an die Dogmen, an die Grundsätze und Gesetze der Kirche, an den Wortlaut dieser Prinzipien. Analysiere sie nicht weiter. Das entfacht nur Zweifel und schwächt deinen Einsatz für die Kirche. Mystik ist ein gefährlich Ding und führte in der Geschichte der Kirche immer wieder zu Abfallbewegungen. Also versuche gar nicht, in die Tiefenschichten eines Kirchengesetzes vorzudringen, die tiefere Bedeutung des Zweckes eines solchen Gesetzes zu ergründen. Nimm kirchliche Lehren, Gesetze und Anordnungen unbesehen und ohne Kritik und jeglichen Zweifel so, wie sie sind, als positive Willenskundgebungen der nicht irren könnenden Kirche. Basta! Es ist sogar besser, bei kritischen Theologen als spirituell dürftig und hohl zu gelten als auf den falschen Weg zu geraten, denn nur die Kirche ist der wahre und richtige Weg. Wenn du schon meditieren willst, dann meditiere streng kanalisiert über die Größe der Kirche und die über jeden Zweifel erhabene Schönheit ihrer Wahrheiten und Gesetze.

Im Grunde brauchst du nur eine einzige Mystik im Haushalt deiner Psyche: Alle positiven geistigen Energien der Kirche widmen, alle negativ-destruktiven Energien (s. Oberbegriff Haß in Regel Nr. 3) gegen die Sekten richten! Nur fanatischer Enthusiasmus (Mystizismus) im Dienst der Kirche ist gefordert. Sonst nichts. Verschweige deshalb auch stets bei deinen öffentlichen Auftritten, daß viele Menschen in der Kirche Glaubenszweifel und Moralkonflikte haben, daß allein in der katholischen Kirche in den letzten 20 bis 30 Jahren 80.000 bis 100.000 Priester ihr Amt niedergelegt haben, daß der Ursprung des Christentums ein ganz anderer war, als die Kirche ihn lehrt, daß Jesus keine Kirche und kein Papsttum gestiftet hat, daß Luther ein abtrünniger katholischer Mönch war, der eine neue, nicht mehr katholische Sekte mit einer inhumanen Moral gegründet hat, daß diese Sekte längst im Koma liegt und nur noch durch Finanzspritzen des Staates künstlich am Leben erhalten wird.


8. Regel:

Wenn du im Sinne der 7. Regel deinen psychischen Haushalt konsolidiert hast, wende alle deine Energien und Aktivitäten nach außen gegen die Sekten. Mache diese physisch, psychisch und moralisch fertig.

Demontiere sie, wo du nur kannst, uneingeschränkt. Das Einzige, das dich zurückhalten soll, ist die Abwägung der Mittel, mit denen du die Vernichtung der Sekten am besten erreichen kannst. Du darfst (s. 3. Regel) brutal und rücksichtslos hassen, du darfst aber nicht brutal und rücksichtslos vorgehen. wenn dadurch das Ziel, die Existenzvernichtung der Sekten, verfehlt wird. In Dörfern z.B., wo die Menschen im allgemeinen noch naiver und unaufgeklärter sind, kannst du mit deiner Hetzpropaganda massiver sein. kannst du auch bezüglich der Gefahren, die von den Sekten drohen, stärker übertreiben. Das mußt du auch deswegen tun, weil Sekten die Angewohnheit haben, sich meist gerade auf dem Lande niederzulassen. Genau das mußt du verhindern.

Organisiere Bürgerinitiativen und Vereine gegen solche Niederlassungen, male bei den Gemeindeleitern (Bürgermeistern usw.) in schwärzesten Farben, was sie von der betreffenden Sekte erwartet. Stelle Geschäftsleute und Bauern gegen sie ein. Wende den ganzen Fächer möglicher Diskreditierungs- und Diskriminierungsmethoden gegen diese Sekte an (s. die zehn im vorigen Kapitel ausführlich dargelegten Methoden, deren sich die Kirche und ihre Sektenbeauftragten bedienen).

In Städten, vor allem Großstädten, wo manche Menschen kritischer und differenzierter denken, mehr gesehen haben, auch mit Sekten bereits Kontakt hatten, mußt du vorsichtiger, diplomatischer, wissenschaftlicher auftreten, mußt du den Experten für religiöse Angelegenheiten stärker herauskehren. Aber das Ziel, auch in Städten Sekten kein Existenzrecht zu geben oder schon vorhandene Existenzen zu vernichten, bleibt das gleiche.


9. Regel:

Diene dich dem Staat und den Medien an als der Experte für religiös-weltanschauliche Angelegenheiten, als wesentlicher Wahrer und Förderer der Staats- und gesellschaftstragenden Werte, als effektivster Bekämpfer der gesellschaftsersetzenden Tendenzen der Sekten.

Laß dich in alle möglichen Ausschüsse und Kommissionen staatlicher Behörden und Organe als Experte oder Berater berufen: suche einflußreiche und prominente Leute, deren Kinder Probleme mit ihren Eltern wegen der Zugehörigkeit zu einer Sekte haben und die bereit sind, Elterninitiativen gegen Sekten zu gründen oder zu unterstützen; fertige ständig Gutachten über die Schädlichkeit von Sekten an und bombardiere damit Innen- und Familienministerium. Bringe Redakteure in Funk, Fernsehen und Presse auf deine Seite, was dir angesichts der religiösen Unbedarftheit und Kirchenbindung vieler Medienleute nicht sonderlich schwer fallen dürfte. (Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen Spiegel-Redakteur, der einen Artikel über ein kirchenkritisches Buch fertiggestellt hatte, ihn dann aber doch nicht veröffentlichen wollte, "weil ich doch mal Meßdiener war und man seine kirchliche Sozialisation nie ganz ablegen kann. Außerdem komme ich ja vielleicht doch in die Hölle, wenn ich ein so kirchenkritisches Buch publik mache").

Mache Vertretern des Staates und der Medien klar, daß das Endresultat der Zersetzungsarbeit durch die Sekten das Chaos und die Anarchie der Gesellschaft sind und daß hier nur die Kirche gegensteuern kann, wenn man ihr weiterhin alle Privilegien beläßt und ihren Kampf in vorderster Front gegen die Sekten großzügig subventioniert. Bedenke selber immer die Weisheit der Kirche, die sich im Unterschied zu den "naiven" Sekten nie auf den Glauben allein und dessen Kraft verlassen hat, sondern stets den Staat für ihre Ziele und zur eigenen Existenzerhaltung einspannte. Das mag zwar dem Glauben etwas von seiner geistigen Substanz nehmen, aber das nimmt die Kirche angesichts des Zuwachses an Macht und Reichtum gern in Kauf.


Wer sich diese neun Regeln für die kirchlichen Sektenbeauftragten vergegenwärtigt, wer die zehn brutalen Methoden gegen neue religiöse Gemeinschaften bedenkt (s. voriges Kapitel) und die Mentalität und Motivation berücksichtigt, aus der heraus der Inquisitor alter und neuer Prägung handelt (s. 6. Kap.), der kann wohl zu keinem anderen Schluß kommen als dem, daß Vertreter der Kirche die Allerunbefugtesten sind, wenn es darum geht, Gutachten oder Urteile über die sog. Sekten zu erstellen oder zu fallen und daß jeder, der sie um Berichte oder Expertisen zu diesem Thema ersucht, ein hoffnungsloser Naivling und Ignorant sein muß.


Zum AUTOR:

Der Religionswissenschaftler, Philosoph und Theologe Prof. DDr. Hubertus Mynarek ist einer der prominentesten Intellektuellen und Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts.

Neben philosophischen und anthropologischen Arbeiten, mit denen er unter anderem die Grundlagen eines Ökologischen Humanismus schuf, hat Mynarek in zahlreichen Büchern die Kirchen einer kritischen religionswissenschaftlichen und theologischen Analyse unterzogen.

Sein neuestes Werk "Die neue Inquisition" zeigt in überzeugender Weise, dass die alte Inquisition der Kirchen keineswegs tot ist, sondern weiterhin unter vielerlei Masken und Metamorphosen kritische Zeitgenossen und neue spirituelle Gemeinschaften hasserfüllt verfolgt und zu vernichten sucht. Es entlarvt die Motive und Gesinnungen kirchlicher und staatlicher Sektenbeauftragter und analysiert das fatale Gottes- und Menschenbild, von dem sie sich in ihren inquisitorischen Bestrebungen leiten lassen.

1999, Verlag Das Weisse Pferd GmbH,   ISBN 3-00-004299-7

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Anmerkung der Redaktion:

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