Sekten: Amtskirchen ignorieren Gerichtsurteile
Gastbeitrag von Gerhard Besier

http://www.wams.de/data/2006/03/19/861752.html?prx=1 19.03.2006 

An der Unterscheidung zwischen "Sekten" und "Kirchen" halten die Amtskirchen fest, obwohl die Enquete Kommission des Bundestages empfohlen hat, den Sektenbegriff nicht mehr zu verwenden. Mit dem fortgesetzten Gebrauch dieses Begriffs wollen die Amtskirchen vergessen machen, daß es sich bei ihnen wie bei den anderen um ein und dasselbe Phänomen handelt: um Religion.

Beide Amtskirchen leisten sich "Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte". Diese bestreiten den anderen Religionsgemeinschaften ihren Wahrheitsgehalt und bezichtigen sie darüber hinaus auch noch, mit halbkriminellen Mitteln zu arbeiten und Menschenrechte zu verletzen. Ihrem Selbstbild zufolge sind die "Sektenbeauftragten" freilich keine Apologeten der eigenen Konfession. Sie verstehen sich als unabhängige "Experten" für Religion schlechthin und als Helfer für Abtrünnige anderer Religionsgemeinschaften. Die Austrittswilligen oder bereits Ausgetretenen bezeichnen sie als "Aussteiger". Die Assoziation mit Drogenabhängigen ist beabsichtigt.

Natürlich können sich in einer offenen Gesellschaft auf dem Markt der Religionen die einzelnen Gruppierungen gegenseitig beharken und versuchen, den religiösen Konkurrenten Mitglieder abzujagen. Aber sie können nicht weiter voneinander behaupten, was ordentliche Gerichte geprüft und für nicht begründet befunden haben. In mühevollen Prozessen, die die Gerichtsinstanzen mehrfach beschäftigt haben, erstritten sich die Zeugen Jehovas den gleichen Rechtsstatus, den auch die Behördenkirchen besitzen.

Sie sind in Berlin jetzt auch eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts. Die heftigen Vorwürfe gegen die Religionsgemeinschaft haben einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten können. Obwohl dies in dem Gerichtsurteil zugunsten der Zeugen Jehovas ausdrücklich gesagt wird, wiederholt die Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlins in ihrem Artikel in der "Welt am Sonntag" vom 12. März diese Vorwürfe, wenn sie sagt, daß den Menschen "durch raffinierte Rekrutierungstechniken und innerorganisatorischen Druck die Entscheidungsfreiheit genommen" werde. Sie erklärt damit die Mitglieder von anderen Religionsgemeinschaften zu bloßen Opfern und erkennt, zumindest im Falle der Zeugen Jehovas, das Urteil der Gerichte nicht an. Die Kirchen müssen sich daran gewöhnen, daß Deutschland seit 1919 keine Staatskirche mehr hat.

Der Autor Prof. Gerhard Besier ist Direktor des Hannah-Arendt-Instituts
Artikel erschienen am 19. März 2006

© WAMS.de 1995 - 2006